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Zoologie

Können Tiere doch nicht planen?

Experiment weckt Zweifel an höheren geistigen Leistungen von Raben und Menschenaffen

Können Menschenaffen vorausschauend planen? Und was geht dabei in ihrem Gehirn vor? Ein Experiment enthüllt Überraschendes. © Johan Lind

Weniger schlau als gedacht? Raben und Schimpansen können vielleicht doch nicht vorausschauend denken – auch wenn bisherige Experimente dies nahelegten. Denn das vermeintlich planende Verhalten kann auch durch assoziatives Lernen zustande kommen, wie nun eine Wiederholung dieser Experimente mit einem lernfähigen Computerprogamm belegen. Demnach reicht eine Kombination von Verstärkung und Konditionierung aus, um die Aufgaben genauso gut zu lösen wie die Tiere.

Das vorausschauende Planen galt lange als Domäne des Menschen – und als fortgeschrittene geistige Leistung. Denn dafür muss man verschiedene mögliche Zukunftsszenarien mental durchspielen. Eng damit verknüpft ist die Fähigkeit zu erkennen, dass es manchmal lohnender ist, auf eine sofortige Belohnung zugunsten eines späteren, größeren Vorteils zu verzichten. Mit dieser Form der Impulskontrolle und Vorausschau tuen sich selbst vierjährige Menschenkinder noch schwer.

Beweise für vorausschauendes Planen?

Doch in den letzten Jahren haben mehrere Studien Indizien dafür geliefert, dass zumindest einige Tiere ebenfalls vorausschauend planen können. So berücksichtigen Schimpansen bei der Wahl ihres Werkzeugs, wie lange sie dieses später tragen müssen und wählen ihre Schlafnester im Hinblick auf den Futterzugang am nächsten Tag. Raben und Papageien wiederum verschmähen bei Aussicht auf eine spätere Belohnung kleinere Futterstücke.

Aber steckt hinter diesem Verhalten tatsächlich die Fähigkeit, zu denken und mental verschiedene Szenarien im Kopf durchzuspielen? Johan Lind von der Universität Stockholm bezweifelt dies. Seiner Vermutung nach könnte auch eine Kombination aus einfachem Lernen durch Verstärkung und Konditionierung zu dem scheinbar planenden Verhalten dieser Tiere führen. Sein Argument dafür: Künstliche Intelligenz funktioniert auch nur Basis dieser Lernmechanismen – und erzielt damit erstaunliche Erfolge.

Raben vestecken Futter im Wald - zeugt dies schon von echtem Planen? © Johan Lind

Lernfähiger Computer als Testsubjekt

Um das zu überprüfen, hat Lind ein einfaches, lernfähiges Computerprogramm vor die gleichen Aufgaben gestellt wie sie die Schimpansen, Raben und Papageien in den früheren Experimenten absolvieren mussten. Sie mussten beispielsweise erkennen, dass die Wahl eines auf den ersten Blick nutzlosen Hakens gegenüber einem Futterstück sich später auszahlen würde. Denn der Haken öffnete einen größeren Futtertresor.

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Der Clou dabei: Der Computer war so programmiert, dass er seine Verhaltensentscheidungen nur auf Basis von Konditionierung und Lernen durch Verstärkung trifft. „Wenn diese Prozesse des assoziativen Lernens nicht ausreichen, um das Verhalten zu erklären, dann müssen in der Tat alternative Mechanismen herhalten“, so Lind. Würde das Programm dagegen die Aufgaben genauso gut lösen wie die Tiere, dann muss auch bei diesen kein höheres Denken im Spiel sein.

Lernen reicht

Und tatsächlich: Obwohl das Programm nur einfache Formen des assoziativen Lernens beherrschte, bestand es die Tests genauso wie die tierischen Probanden: „Unsere Simulation brachte die gleichen Ergebnisse wie bei den Raben und den Menschenaffen“, berichtet Lind. Hatte der Computer einmal durch Versuch und Irrtum begriffen, dass anfängliche Selbstkontrolle sich später auszahlt, plante er entsprechend vor.

„Das belegt, dass zwei Lernmechanismen zusammen zu dem scheinbar vorausschauenden Verhalten führen können, das die Menschenaffen und Raben zeigen“, so Lind. Die Konditionierung sorge dafür, dass bestimmte Werkzeuge durch das Vortraining und die Erfahrungen positiv besetzt werden. Deshalb bevorzugt sie der Schimpanse oder Rabe dann sogar gegenüber einem Futterstück. Die spätere Belohnung für eine korrekte Wahl verstärke dann diesen Lerneffekt, erklärt der Forscher.

Können Tiere doch nicht denken?

Das aber bedeutet: Das vermeintlich vorausschauende Planen von Tieren erfordert möglicherweise weit weniger geistige Leistungen als bisher angenommen. Statt echtem, zukunftsorientiertem Denken könnte auch eine Kombination einfacher Lernmechanismen hinter diesem Verhalten stecken. „Verhalten, das bisher als Anzeichen für die Fähigkeit zu flexiblem Planen gewertet wurde, kann demnach auf assoziatives Lernen zurückgeführt werden“, so Lind.

Allerdings: Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Raben, Papageien und Schimpansen nicht doch über höhere geistige Fähigkeiten verfügen. Nach Ansicht des Forschers sind die bisherigen Experimente aber nicht dazu geeignet, dies eindeutig nachzuweisen. (Journal Royal Society Open Science, 2018; doi: 10.1098/rsos.180778)

(Universität Stockholm, 29.11.2018 – NPO)

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