Bewohner von Flüssen und Bächen reagieren besonders empfindlich auf den Klimawandel. Zwar werden Europas Fließgewässer auch im Jahr 2080 noch halbwegs gute Lebensbedingungen für die meisten Lebewesen bieten. Probleme bekommen aber Arten, die an Kälte angepasst sind, die nur in bestimmten, eng umgrenzten Gebieten vorkommen oder an spezielle Lebensräume angepasst sind. Ihre Lebensräume gehen rapide zurück. Das zeigt die im Fachmagazin „Global Change Biology“ erschienene Studie eines internationalen Forscherteams.
„Die biologische Vielfalt in Fließgewässern geht stärker zurück als in den Meeren oder an Land”, sagt Sami Domisch, Wissenschaftler am Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und Leitautor der Studie. Flüsse und Bäche sind besonders empfindlich gegenüber klimabedingten Veränderungen wie steigenden Temperaturen oder Abflussveränderungen. „Wir haben untersucht, inwieweit die potentiellen Verbreitungsgebiete der Tiere durch den Klimawandel beeinflusst werden könnten”, so Domisch.
Basierend auf verschiedenen Klimaszenarien modellierten die Wissenschaftler die potentiellen klimatischen Areale von 191 europäischen Tierarten bis ins Jahr 2080, die am Gewässergrund leben, darunter Insektenlarven, Würmer-, Muschel- und Krebstierarten. Dabei gingen sie von der Hypothese aus, dass sich die Verbreitungsareale europäischer Tierarten im Zuge des Klimawandels in Richtung Norden bewegen. „Unsere Studie beurteilt erstmals mit Hilfe einer Kombination verschiedener statistischer Modelle die klimatische Anfälligkeit eines breiten Spektrums wirbelloser Tiere im Süßwasser”, erläutert Mitautorin Sonja Jähnig vom BiK-F.
Gute Bedingungen trotz Klimawandel für 99 Prozent
Die Modellierungen ergaben, dass trotz des Klimawandels auch im Jahr 2080 noch für 99 Prozent der untersuchten Arten geeignete klimatische Bedingungen in Europas Fließgewässern existieren. Für das Überleben der einzelnen Arten wird jedoch entscheidend sein, wie groß die verbleibenden Lebensräume wirklich sind und ob die Arten diese erreichen können. Je nach Szenario verringert sich für bis zu 59 Prozent der untersuchten Arten der potentielle Lebensraum, vor allem für die an Kälte angepassten Arten und viele südeuropäische Endemiten, deren Lebensraum räumlich begrenzt ist: „Sie können nicht einfach in ein geeignetes Gebiet ‚umziehen‘, da oft keines für sie erreichbar ist“, erklärt Domisch ihre besondere Gefährdung.
Nach den Berechnungen der Forscher wird sich der mögliche Lebensraum für bis zu 83 Prozent der Endemiten verringern. Je nach Klimaszenario können für diese Arten die Verluste an Lebensraum im Schnitt 28 bis 46 Prozent betragen. Als Gewinner des Klimawandels können die an höhere Temperaturen gut angepassten Arten ihr potentielles Verbreitungsgebiet hingegen vergrößern.
Süßwasser-Organismen sind besonders sensibel
Trotz mancher Unsicherheiten der Modellberechnungen verdeutlichen die Projektionen für das Jahr 2080, dass Süßwasser-Organismen sehr sensibel auf die Auswirkungen des Klimawandels reagieren. „Unsere Studie zeigt, dass wir noch viel mehr wissen müssen, um die Konsequenzen des Klimawandels für ökologische Funktionen und für die Artenvielfalt besser abschätzen zu können”, folgert Domisch. Die Modellierung der Verbreitungsgebiete von Arten unter künftigen Klimaszenarien stellt deshalb ein wichtiges Werkzeug dar, um die möglichen Auswirkungen auf die Verbreitungsgebiete der Arten zu verstehen und daraus Maßnahmen für den Schutz der Biodiversität von Fließgewässern abzuleiten. (Global Change Biology, doi: 10.1111/gcb.12107)
(LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), 04.01.2013 – NPO)