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Neurobiologie

„Klarträumen“ lässt sich trainieren

Deutliche Unterschiede in der Gehirnaktivität gegenüber echtem Traum

Das Gehirn schaltet bei so genannten „Klarträumen“ andere Zentren an als beim normalen Traum und „erkennt“ damit tatsächlich, dass es träumt. Eine internationale Pilotstudie deutet jetzt darauf hin, dass sich diese Einsicht trainieren lässt und damit beispielsweise auch für die Therapie von Psychosen genutzt werden kann. Diese gehen – wie Träume – mit Fantasievorstellungen einher, die die Patienten nicht als solche identifizieren können. Der Artikel erscheint in der September- Ausgabe der Zeitschrift „Sleep“.

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Unsere Traumerlebnisse sind reine Produkte unserer Fantasie. Im Schlaf merken wir das jedoch in aller Regel nicht, sondern nehmen sie für bare Münze. Die Angst, die wir verspüren, wenn uns im Traum ein Tiger angreift, ist daher auch sehr real. Wenn Schlafende während eines Traums plötzlich realisieren, dass sie nur Fantasiebilder sehen, spricht die Wissenschaft von „Klarträumen“. „Bislang wusste aber niemand, was dabei genau in unserem Gehirn passiert“, erklärt Ursula Voss vom Institut für Psychologie der Universität Bonn. Zusammen mit Kollegen aus Darmstadt, Mainz und Harvard hat sie das Phänomen „Klartraum“ genauer unter die Lupe genommen.

Training steigert Klartraum-Häufigkeit

Als Versuchspersonen dienten ihnen zwanzig Bonner Psychologie-Studenten. Zunächst versuchten die Forscher, die Klartraum-Wahrscheinlichkeit durch ein gezieltes Training zu erhöhen. Dazu nahmen die Probanden an wöchentlichen Trainings-Sitzungen teil. „Sie sollten sich beispielsweise Situationen überlegen, anhand derer sie Traum von Realität unterscheiden konnten“, erklärt Voss. „Also etwa: Wenn ich mir die Nase zuhalte und dennoch atmen kann, muss ich träumen.“

Sechs Teilnehmer konnten die Klartraum-Häufigkeit so innerhalb von vier Monaten auf mindestens dreimal pro Woche steigern. Die Forscher luden diese nun als Testschläfer ins Schlaflabor. Dabei zeichneten sie über Elektroden auf der Kopfhaut die Hirntätigkeit ihrer Probanden auf. „Leider kam es unter Laborbedingungen lediglich zu drei Klarträumen“, bedauert Dr. Voss. „Unsere Ergebnisse sind daher nur als vorläufig zu betrachten. Wir konnten aber dennoch feststellen, dass sich während eines Klartraums die Aktivität des Stirnhirns signifikant ändert.“

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Ein Teil des Gehirns wacht auf, der Rest schläft weiter

Das Stirnhirn, auch frontaler Cortex genannt, ist für die kritische Bewertung von Geschehnissen zuständig. Normalerweise ist es im Schlaf weitgehend inaktiv. Daher sind wir gar nicht dazu in der Lage, die Erlebnisse im Traum zu hinterfragen. Bei Klarträumen ist das anders: Das Stirnhirn ist dabei deutlich aktiver. In den anderen Hirnbereichen ändert sich gegenüber „normalen“ Träumen dagegen nichts.

„Es ist, als wäre ein Teil des Gehirns plötzlich ein wenig wacher, während der Rest weiter schläft“, sagt

die Privatdozentin. Sie plant nun, die Studie mit mehr Probanden zu wiederholen. „Dabei wollen wir auch auf Tomographie-Untersuchungen zurückgreifen, um die Aktivität der verschiedenen Hirnregionen noch genauer messen zu können.“

Klartraum-Training als Therapie?

So vorläufig Ergebnisse momentan auch noch sind: In der Fachwelt stoßen sie momentan dennoch auf große Resonanz. Einerseits ist es interessant, dass sich die Fähigkeit zu „Klarträumen“ trainieren lässt. Menschen, die häufig unter schweren Albträumen leiden, können möglicherweise lernen, sie beim Schlaf einem „Realitäts-Check“ zu unterziehen. So würden nächtliche HorrorFantasien einen Teil ihres Schreckens verlieren.

Spannend ist auch, dass bei manchen psychiatrischen Erkrankungen eben diese Fähigkeit zum Realitäts-Abgleich fehlt. So gehen Psychosen mit Wahnvorstellungen einher, die der Betroffene nicht von der Wirklichkeit unterscheiden kann. Im Vergleich zum Klartraum scheint hier die Situation

genau umgekehrt: Der Betroffene ist wach, kann seine Fantasien aber dennoch nicht kritisch analysieren. „Vielleicht kann man diese Fähigkeit jedoch – ähnlich wie bei unseren Versuchspersonen – trainieren“, hofft Voss. Falls ja, könnten die Betroffenen lernen, zwischen „wahr“ und „Wahn“ zu unterscheiden.

(Universität Bonn, 19.08.2009 – NPO)

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