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Biologie

Keas haben ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten

Papageien verstehen das Prinzip unterschiedlicher statistischer Chancen

Kea
Keas gelten als sehr intelligente Vögel. © Amalia Bastos

Gefiederte Mathegenies: Auch Keas haben offenbar ein Gefühl für statistische Wahrscheinlichkeiten. Die Vögel erkennen, welche Farbe aus einem mit unterschiedlichen Anteilen schwarzer und oranger Stäbe gefüllten Glas am wahrscheinlichsten gezogen wird – und richten ihr Verhalten entsprechend aus. Dabei können sie in ihre Kalkulationen sogar soziale Informationen miteinbeziehen. Bisher galt diese komplexe Fähigkeit als Domäne von Menschen und Menschenaffen, wie die Forscher berichten.

Auch wenn Unsicherheit im Spiel ist, kann der Mensch begründete Entscheidungen fällen: Er orientiert sich in diesem Fall an Wahrscheinlichkeiten. Diese Fähigkeit gehört zu den wichtigsten unseren Gehirns und ermöglicht es uns, Chancen und Risiken besser abzuschätzen und unser Handeln entsprechend auszurichten.

Das Gefühl für statistische Wahrscheinlichkeiten entwickelt sich dabei erstaunlich früh. So zeigen Studien, dass schon wenige Monate alte Babys eine grobe Vorstellung über die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Geschehnisse haben. Sie reagieren zum Beispiel verdutzt, wenn eine mit farbigen Bällen gefüllte Lottomaschine gehäuft die seltenere und damit unwahrscheinlichere Farbe zieht. Auch unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, können auf diese Weise kalkulieren. Doch von anderen Tieren war diese Fähigkeit bisher nicht bekannt.

Für welche Hand entscheidet sich der Papagei? © Amalia Bastos

Mathetest für schlaue Vögel

Um herauszufinden, ob es doch noch weitere Stochastik-Genies im Tierreich gibt, haben sich Amalia Bastos von der University of Auckland und ihre Kollegen nun den Keas (Nestor notabilis) gewidmet. Diese in Neuseeland heimischen Bergpapageien sind für ihre Neugierde und frappierende Intelligenz fast schon berühmt. So können die olivgrünen Vögel Reißverschlüsse öffnen, Werkzeuge nutzen und sogar ihr eigenes Spiegelbild erkennen.

Beherrschen sie aber auch das Berechnen von Wahrscheinlichkeiten? Für diesen Test brachten die Forscher sechs Keas zunächst bei, schwarzfarbige Stäbchen mit einer leckeren Belohnung in Verbindung zu bringen. Dieselben Objekte in orange konnten sie dagegen nicht gegen Futter eintauschen. Nachdem die Papageien dies verstanden hatten, folgte der entscheidende Versuch: Ihnen wurden zwei Gläser mit jeweils unterschiedlichen Anteilen schwarzer und orangener Stäbe präsentiert.

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Gewinn oder Niete?

Vor den Augen der Vögel griff ein Versuchsleiter dann in beide Gläser und nahm in der geschlossenen Hand jeweils einen Stab heraus – die Keas konnten nicht erkennen, welche Farbe sich in der Faust verbarg. Nun sollten die Tiere durch einen Stupser mit dem Schnabel anzeigen, aus welcher Hand sie den Stab bekommen wollten.

Das erstaunliche Ergebnis: Tatsächlich wählten die Papageien konsequent jene Hand aus, die in den mit hauptsächlich schwarzen Objekten gefüllten Behälter gegriffen hatte. Die Vögel stellten offenbar gekonnt Prognosen darüber auf, bei welcher Entscheidung die Chance auf eine Belohnung am größten war.

Soziale Verzerrung erkannt

In einem nächsten Schritt testeten Bastos und ihre Kollegen, ob die Keas auch zusätzliche Informationen in ihre Berechnungen miteinfließen lassen. Dazu installierten sie eine deutlich sichtbare Barriere in den Gläsern, die den unteren vom oberen Inhalt trennte. Dadurch waren nur die oberen Stäbchen für die Versuchsleiter erreichbar – und das erkannten auch die Papageien: Sie orientierten sich bei ihrer Entscheidung nun daran, welcher der zugänglichen Abschnitte mehr schwarze als orange Stäbe enthielt.

In einem dritten Experiment erhöhten die Wissenschaftler die Komplexität noch weiter: Können die Keas auch soziale Informationen in ihre Kalkulation miteinbeziehen? Um dies zu überprüfen, wurde den Keas gezeigt, dass bestimmte Personen eine Vorliebe für die begehrten schwarzen Tauschobjekte haben. Sie zogen regelmäßig gezielt diese Farbe aus dem Glas, selbst wenn sich darin viel mehr orange Stäbe befanden.

Wie bei Kindern und Schimpansen

Beim eigentlichen Test konnten die Papageien nun entweder die Hand dieses Versuchsleiters wählen oder die von einer Person, die diese Neigung nicht gezeigt hatte. Es zeigte sich: Die Vögel entschieden sich häufiger für die Faust der Person mit bekannter Schwarzvorliebe. Sie können demnach Wissen über Wahrscheinlichkeiten auch mit dem Verhalten bestimmter Individuen verknüpfen.

„Diese Ergebnisse sind überraschend, weil sie die Befunde aus Experimenten mit Menschenkindern und Schimpansen widerspiegeln“, erklärt Bastos. „Sie zeigen, dass die Vögel das Verhältnis von Objekten bestimmen, um eine Prognose über ein unsicheres Ereignis zu stellen – und sie können in diese Vorhersage auch noch andere Arten von Informationen integrieren.“

Keas verstehen das Prinzip unterschiedlicher statistischer Chancen.© University of Auckland

Zweimal unabhängig entwickelt

Wie die Forscher betonen, beweisen sie damit zum ersten Mal, dass Vögel zu statistischen Schlussfolgerungen fähig sind. Dies belegt: Es braucht nicht unbedingt ein so großes und komplex strukturiertes Denkorgan wie das von Menschen und Menschenaffen dafür. Damit scheint das Verständnis für Stochastik auch kein Alleinstellungsmerkmal unserer Entwicklungslinie zu sein. Denn die Abstammungslinien von Mensch und Kea haben sich bereits vor mindestens 312 Millionen Jahren voneinander getrennt.

Nach Ansicht der Wissenschaftler spricht dies dafür, dass die Grundlagen für diese komplexe kognitive Fähigkeit im Laufe der Evolution zweimal unabhängig voneinander entstanden sind – einmal bei den Primaten und einmal bei den Vögeln. Doch nicht nur für das Verständnis der evolutionären Wurzeln der Intelligenz ist diese Erkenntnis spannend, wie das Team betont.

Sie könnte auch hilfreich für die Entwicklung künstlicher Intelligenzen (KIs) sein: „Wenn wir verstehen, welche Prozesse diese beiden Gehirne gemein haben, wenn sie mit solchen Aufgaben konfrontiert werden, können wir auch KIs kreieren, die Entscheidungen mit ‚gesundem Menschenverstand‘ treffen“, sagt Bastos‘ Kollege Alexander Taylor. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-14695-1)

Quelle: Nature Press/ University of Auckland

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