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Neurobiologie

Hunger macht nicht lernfähiger

Hungerhormon Ghrelin fördert geistige Leistungen bei Tieren, nicht aber beim Menschen

Das Hormon Ghrelin wirkt bei Nagern gedächtnissteigernd - beim Menschen aber leider nicht, wie sich jetzt zeigt. © satellitesixty/ iStock.com

Hypothese widerlegt: Entgegen bisherigen Annahmen fördert das Hungerhormon Ghrelin weder das Gedächtnis noch die Lernfähigkeit, wie eine Studie nun belegt. Die leistungssteigernde Wirkung bei Mäusen und Ratten scheint demnach nicht auf den Menschen übertragbar zu sein. Im Test waren Probanden unter Ghrelin-Einfluss genauso vergesslich, kreativ oder lernfähig wie ihre Mitteilnehmer mit einem Placebo.

Ein voller Bauch studiert nicht gern, dieses Credo kennen viele noch aus Schulzeiten. Hunger dagegen soll die Denkleistung fördern, wie schon vor mehr als einem Jahrzehnt Versuche mit Mäusen und Ratten nahelegten. Bei ihnen fördert das Hungerhormon Ghrelin vor allem das räumliche Lernen. Aber gilt dies auch beim Menschen? Ob auch bei uns das Ghrelin die geistigen Leistungen verbessern kann, war bisher kaum untersucht.

Wörter lernen beim virtuellen Spaziergang

Nicolas Kunath vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und seine Kollegen haben dies nun nachgeholt. Sie untersuchten, welche Auswirkungen Ghrelin auf räumliches Lernen und eine ganze Reihe weiterer Hirnsport-Disziplinen am Menschen hat. Dafür unternahmen 21 Probanden einen virtuellen Spaziergang durch eine digitale Vorstadt-Umgebung, während ihre Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) aufgezeichnet wurde.

Auf der digitalen Route wurden Begriffe eingeblendet, die sich die Probanden merken sollten. Am nächsten Tag wurden diese Begriffe abgefragt. Der Clou dabei: Eine Hälfte der Teilnehmer bekam vor dem VR-Spaziergang Ghrelin, der Rest ein Placebo. Welche Substanz jeweils im Spiel war, wussten weder die Probanden noch die Versuchsleiter.

Kein messbarer Effekt

Das Ergebnis: Auf den ersten Blick schien das Ghrelin das Lernen der Probanden zu beeinflussen. Die Forscher stellten unter anderem fest, dass sich die Aktivität in den Verknüpfungen zwischen bestimmten Hirnarealen durch das Hungerhormon abschwächte. Doch beim Gedächtnistest am nächsten Tag gab es keinerlei Unterschiede zwischen der Placebo- und der Ghrelingruppe, wie Kunath und seine Kollegen berichten.

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Ihre Schlussfolgerung daraus: „Die Effekte des Ghrelins auf die Hirnaktivität und die funktionelle Konnektivität haben keinen Zusammenhang zur Gedächtnisleistung.“ Zudem habe das Hormon keinerlei Wirkung in einer ganzen Batterie von kognitiven Tests gezeigt, weder beim Arbeitsgedächtnis, noch bei der Kreativität, der mentalen Schnelligkeit, dem Kombinationsvermögen oder der Aufmerksamkeit.

Ghrelin ist keine Wunderdroge

Damit scheint klar: Ghrelin ist zumindest kein Wundermittel, das uns instantan zu wandelnden Gedächtniswundern werden lässt. Ein Neurodoping mit diesem Hormon wäre wahrscheinlich eher wirkungslos. Im Gegensatz zu Mäusen und Ratten scheint der Mensch von einer Gabe des Hungerhormons zumindest geistig nicht zu profitieren.

Ungeklärt bleibt allerdings, ob das Ghrelin möglicherweise langfristig positive Effekte auf das Lernvermögen des Menschen haben kann. Es ist beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass sich erst nach einer längeren Zeit der regelmäßigen Einnahme Wirkungen zeigen, mutmaßen die Forscher. Ob das so ist, muss nun in weiteren Studien erforscht werden. (NeuroImage, 2016; doi: 10.1016/j.neuroimage.2016.07.016)

(Max-Planck-Institut für Psychiatrie, 11.08.2016 – NPO)

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