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Botanik

Hundert Jahre altes Botanik-Rätsel gelöst

Komplexes Gefäßgewebe half Pflanzen, sich auf trockenem Land auszubreiten

Versteinerter Querschnitt
Ein versteinerter Stamm eines 250 bis 300 Millionen Jahre alten Baumfarns. Das wasserleitende Gewebe (blau) hat bereits ein komplexes Muster. © Ludwig Luthardt/ Museum für Naturkunde, Berlin

Gegen tödliche Embolien: Forscher haben herausgefunden, warum moderne Gefäßpflanzen ein auf den ersten Blick unnötig komplexes Wasserleitungssystem entwickelt haben – und so eine seit 100 Jahren offene Frage der Botanik geklärt. Anders als bislang gedacht sind diese Xylem-Muster demnach kein bloßes Relikt früherer Verzweigungen, sondern waren ein großer Vorteil bei der Besiedlung trockener Gebiete. Die neuen Erkenntnisse könnten zukünftig auch dabei helfen, trockenresistentere Nutzpflanzen zu züchten.

Wie schafften es die Pflanzen, sich von simplen Moosen und eng am Boden kriechenden Gewächsen zu hochaufragenden Kräutern, Sträuchern und sogar Bäumen zu entwickeln? Und welche Rolle spielte dafür ihr Wasserleitungssystem? Klar ist, dass erst die Leitungsbündel des sogenannten Xylems es den Gefäßpflanzen ermöglichten, Wasser von ihren Wurzeln bis zu den Blättern und Blüten zu transportieren.

Landschaft
Vor 400 Millionen Jahren begannen Pflanzen, ihr Gefäßsystem zu diversifizieren und auch trockene Umgebungen zu erobern. © Julian Kiely, 2022

Rätsel um die Form der Leitungsbündel

Schon vor 100 Jahren rätselten Biologen allerdings darüber, warum dieses Xylem im Laufe der Evolution immer komplexer wurde: Während frühe Gefäßpflanzen meist nur ein kompaktes Bündel dieser Leitungen in ihrem Stängel hatten, bildet das Xylem bei vielen modernen Pflanzenarten ein komplexes, oft in mehrere Teile gegliedertes Muster. Auf den ersten Blick ist jedoch nicht ersichtlich, welche Vorteile diese kompliziertere Anordnung ihnen bringt.

Das „unnötig“ komplexe Xylem-Muster galt daher – aus Mangel an einer besseren Erklärung – als bloßes Relikt früher Verzweigungen und anderer nicht mehr sichtbarer Wuchsformen. Ob hinter dem komplexen Xylem moderner Gefäßpflanzen vielleicht doch mehr steckt, haben nun Forscher um Martin Bouda von der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik untersucht. Sie verglichen dafür die Wasserleitsysteme (Xyleme) von Fossilien verschiedener samenloser Gefäßpflanzen aus über 400 Millionen Jahren Evolution. Im Speziellen suchten sie dabei nach einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Muster des Xylems und dem Klima, in dem diese Pflanzen wuchsen.

Ihr Verdacht: Möglicherweise hilft die komplexe Form der Leitungsbündel den Gefäßpflanzen dabei, auch unter trockenen Bedingungen Wasser bis in die hochliegenden Pflanzenteile zu transportieren. Denn bei Trockenheit steigt das Risiko, dass die Kette der Wassermoleküle in den Leitungen abreißt und sich blockierende Gasblasen bilden. „Die ungehinderte systemische Ausbreitung solcher Embolien führt zum Versagen des hydraulischen Transportnetzwerks, dem Gewebetod und letztlich dem Tod der Pflanze“, erklären die Forscher.

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Leitbündel
Bei zylindrischen Gefäßbündeln (links) kann sich eine Embolie viel leichter auf das gesamte Xylem ausbreiten als bei sternförmigen (Animation bei Klick). © Martin Bouda/ Institute of Botany, Czech Academy of Sciences

Vielfältige Muster halfen beim Überleben

Tatsächlich ergaben die vergleichenden Analysen: Je weiter Pflanzen sich auf trockenem Land ausbreiteten, desto vielfältiger gestaltete sich die Form ihres Xylems. „Wir waren erstaunt, dass nur sehr wenige lebende Pflanzen die

ursprüngliche Anordnung des Stängels beibehalten haben, bei der das Gefäßgewebe in einem Zylinder genau in der Mitte liegt“, sagt Bouda. Die moderne Formenvielfalt des Xylems umfasste dagegen Sterne, Ellipsen, Bänder und Ringe.

Obwohl diese Formen so unterschiedlich sind, erfüllen sie alle denselben Zweck, nämlich das Ausbreiten einer Embolie zu verhindern, so das Forschungsteam. Denn wenn ein Gefäßstrang eines zylindrischen Gewebebündels eine Embolie erleidet, kann sich diese schnell auf die vielzähligen benachbarten Stränge ausbreiten. Sobald die Form aber vom Zylindrischen abweicht und verzweigte Muster bildet, verringert sich die Anzahl benachbarter Leitungen – und die Embolie breitet sich nicht so schnell aus.

„Wenn alle Gefäße gebündelt sind, kann sich die Embolie in dem entstehenden Gefäßnetz exponentiell ausbreiten. Wenn sie in einer langen, schmalen Form aufgereiht sind, muss die Embolie viele aufeinanderfolgende Zellwände überwinden, um sehr weit zu kommen“, erklärt Bouda.

Die Nutzpflanzen der Zukunft

Bouda und seine Kollegen haben mit ihrer Forschung geklärt, warum moderne Gefäßpflanzen ein auf den ersten Blick unnötig komplexes Leitungssystem entwickelt haben – und damit ein hundert Jahre altes Rätsel der Botanik gelöst. Die Studie löst aber keineswegs nur ein Rätsel der Vergangenheit, sondern bietet auch Chancen für die Zukunft.

Da das Geheimnis der Trockenresistenz nun gelüftet ist, könnte es gelingen, zukünftig gezielt trockenresistente Nutzpflanzen zu züchten, die den globalen Klimaveränderungen standhalten können. „Jetzt, da wir besser verstehen, wie die Gefäßsysteme zusammengesetzt sind und wie dies die Fähigkeit einer Pflanze, Trockenheit zu tolerieren, beeinflusst, könnte dies als Ziel für Züchtungsprogramme genutzt werden“, erklärt Boudas Kollege Craig Brodersen. (Science, 2022, doi: 10.1126/science.add2910

Quelle: Science, Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik

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