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Neurobiologie

„Hintergrundrauschen“ schuld an Schizophrenie

Verminderter Signal-Rausch-Abstand der Nervenfunktionen in Stirnhirn festgestellt

Bei Schizophrenie ist das gestört, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ wie Goethe es im Faust ausdrückt. In der aktuellen November-Ausgabe des Wissenschaftsjournals Trends in Neurosciences berichten deutsche und amerikanische Wissenschaftler über neue Forschungsergebnisse zu den molekulargenetischen Grundlagen gestörter Hirnfunktion bei Schizophrenie. Auf der Basis früherer Forschung schlagen sie eine komplett revidierte Theorie zur schizophrenen Pathophysiologie vor.

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Dr. Georg Winterer von der Psychiatrischen Klinik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie sein Kooperationspartner Dr. Daniel R.Weinberger vom Nationalen Institut für Seelische Gesundheit in Bethesda, USA gingen dabei das medizinische Problem der schizophrenen Erkrankung von zwei Seiten an: mittels Phäno- und Genotypisierung. Die Phänotypisierung, das heißt die Charakterisierung und Quantifizierung abnormer Hirnfunktion, erfolgte hierbei durch die Anwendung elektrophysiologischer Verfahren (EEG) sowie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT).

Zu viel Rauschen stört Hirnfunktionen

Entsprechende Untersuchungen ergaben, dass bei schizophrenen Patienten und einem Teil ihrer nicht-erkrankten Angehörigen ein verminderter Signal-Rausch-Abstand der Nervenfunktion in der Hirnrinde und vor allem im Stirnhirn besteht. Dieses Funktionsdefizit führt zu einer Entfokussierung beziehungsweise zu einem Zusammenbruch von Reizrepräsentationen in der Rinde des Gehirns und damit zu einer instabilen Abbildung äußerer und innerer Erlebnisinhalte sowie einer nachhaltig gestörten Aufmerksamkeit und Arbeitszeitgedächtnisleistung.

Die sich anschließende Genotypisierungsarbeiten in Bethesda, Berlin und zuletzt in Mainz ergaben, dass der verminderte Signal-Rausch-Abstand durch eine Stoffwechselstörung des Neurotransmitters Dopamin, und damit durch eine genetisch-bedingte, nur beim Menschen vorkommende Variante des Enzyms Catechol-O-Methyltransferase (COMT), verursacht wird. Allerdings betonen die Forscher, dass dieser genetische Mechanismus nur einen Teil der bei Schizophrenie zu beobachtenden Hirnfunktionsstörung erkläre. Weitere genetische Variationen sowie Umwelteinflüsse (z.B. Drogenkonsum, Geburtskomplikationen) würden gemeinsam zu einer „ungünstigen Konstellation“ und in der Folge zum Krankheitsausbruch führen.

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Zweitwichtigste Entdeckung des Jahres

Die nach vielen Jahren vergeblicher Arbeit nun letztlich doch erfolgreiche Entschlüsselung der molekulargenetischen Mechanismen der Schizophrenie durch mehrere Forschungszentren weltweit wurde im vergangenen Jahr durch das renommierte Wissenschaftsjournal Science als die zweitwichtigste Entdeckung des Jahres gewürdigt. Entscheidend hierbei sei weniger die genetische Identifizierung von Hoch-Risikopersonen, sondern die sich dadurch eröffnende Möglichkeit der Entwicklung völlig neuartiger Medikamente zur Behandlung der Schizophrenie.

Dieser Herausforderung will sich Winterer in den kommenden Jahren stellen, wobei eine enge Zusammenarbeit zwischen Universitätsklinik sowie Industrie – auch mit einem lokalen privatwirtschaftlichen Partner – etabliert wurde. Im Zentrum des Interesses stehen hierbei Pharmaka mit schützender Wirkung auf sogenannte „neurodegenerative“ Vorgänge bei jungen Patienten, da sich hier auch Möglichkeiten für die sehr frühe prophylaktische Behandlung von Risiko-Personen für die Alzheimer Erkrankung ergeben könnten.

(Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 18.10.2004 – NPO)

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