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Neurobiologie

Heimatliches blockiert das Sprechen der Zweitsprache

Der Anblick von Objekten oder Gesichtern aus der eigenen Kultur stört den Spracherwerb

Der Anblick heimatlicher Symbole führt bei chinesischen Studenten zu Sprachfehlern im Englischen: "Happy Nut" statt korrekt "Pistachio" © Zhang et al. /Dmitry Rukhlenko

Warum lernt man eine Sprache besser bei einem Auslands-Aufenthalt als bei einem Sprachkurs zuhause? Ein Grund ist das umfassende Eintauchen in die neue Sprachumgebung. Es gibt aber auch noch einen weiteren Grund, wie Forscher aus den USA und Singapur jetzt herausgefunden haben: Schon der Anblick eines aus der eigenen Kultur gewohnten Gegenstands oder eines typisch heimatlichen Gesichts kann die neue Sprache regelrecht blockieren. Unser Gehirn hat dann Probleme damit, die korrekten Wörter zu finden, und wir sprechen unsere Zweitsprache plötzlich weitaus weniger flüssig als sonst, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin “ Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.

Typische Szenen, aber bisher rätselhaft: Ein aus China kommender Student spricht eigentlich fließend englisch und unterhält sich mit seinem US-Kommilitonen ohne große Probleme. Steht ihm aber ein Kollege aus Asien gegenüber, beginnt er zu stottern und sucht krampfhaft nach Worten. Szenenwechsel: Ein Kunstprofessor aus Taiwan ist für einen Vortrag zu Besuch in den USA. Flüssig erklärt er die Besonderheiten von griechischen Urnen. Dann erscheint ein Dia mit chinesischen Ming-Vasen und er muss mehrfach ansetzen, bis ihm wieder einfällt, wie der Ausdruck für „durchscheinend“ im Englischen lautet.

„Was hat der Anblick eines asiatischen Gesichts oder einer chinesischen Vase an sich, dass diese Menschen, die Englisch als Zweitsprache gelernt haben, so durcheinander bringt?“, fragen Shu Zhang von der Columbia Business School in New York und seine Kollegen. Ob solche Szenen nur moderne Legenden sind und was möglicherweise hinter diesem Störeffekt steckt, wollten die Forscher mit Hilfe von vier Experimenten herausfinden. Ihre Testpersonen waren dabei Studenten, die aus China gekommen waren, um an US-Universitäten zu studieren. Alle hatten Englisch als Zweitsprache gelernt und beherrschten es fließend.

Heimatliches Gesicht stört Zweitsprache

Im ersten Test hörten die Probanden eine Tonaufnahme, in der eine Stimme auf Englisch ihre Meinung über das Campusleben kundtat. Die Probanden sollten dann, ebenfalls in Englisch, von ihren Erfahrungen berichten. Während dieses Tests war auf einem Bildschirm als virtueller Gegenüber entweder ein asiatisch oder ein weiß-amerikanisch aussehendes Gesicht zu sehen. Die Forscher zeichneten die Äußerungen der Probanden auf und maßen sowohl deren Sprachgeschwindigkeit als auch die Flüssigkeit des Sprechens.

Das Ergebnis: Erblickten die chinesischen Probanden ein asiatisches Gesicht auf dem Monitor, sprachen sie messbar langsamer und weniger flüssig. Ähnliches stellten die Forscher auch im zweiten Test fest: Dort reichte schon der Anblick von typisch chinesischen Symbolen wie einem Drachen, einem Bild der Großen Mauer oder eines Schriftzeichens, um das Englisch der Testpersonen merklich zu verschlechtern. „Beide Experimente zeigen, dass bereits optische Schlüsselreize der eigenen Kultur das Sprechen der Zweitsprache beeinflussen und stören“, erklären Zhang und seine Kollegen.

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Pistachios oder Happy nuts?

Einen Hinweis darauf, wie genau solche Schlüsselreize das Sprechen stören, erbrachten zwei weitere Tests. In diesen zeigten die Forscher den chinesischen Studenten Objekte, deren Namen in beiden Sprachen sehr unterschiedlich sind und sich nicht einfach wörtlich übersetzen lassen. So heißen Pistazien im Englischen „Pistachios“, werden im Chinesischen aber als „glückliche Nüsse“ bezeichnet. Die Probanden sollten den Namen der gezeigten Objekte schnell nennen nachdem sie unmittelbar zuvor entweder typische chinesische oder US-amerikanische Symbole gesehen hatten.

Und wieder zeigte sich ein klarer Störeffekt dieser Schlüsselreize: Nach Erinnerungen an die heimatliche Kultur rutschte den Chinesen beispielsweise bei den Pistazien häufiger ein „Happy Nut“ heraus – also die wörtliche Übersetzung – statt des korrekten englischen Begriffs. Das zeige, dass visuelle Reize es chinesischen Sprachstrukturen erleichtern, in das Englische einzudringen, so die Forscher.

Unter-sich-bleiben ist für Immigranten kontraproduktiv

Nach Ansicht von Zhang und seine Kollegen weckt dies die Frage, ob nicht auch andere Sinnesreize wie heimische Gerüche oder Klänge beim Sprechen und Lernen einer Zweitsprache stören können. Der jetzt beobachtete Effekt könnte auch erklären, warum Immigranten, die in ihren Vierteln vorwiegend unter ihresgleichen leben, größere Probleme haben, die Sprache ihres neuen Landes zu lernen. Und warum sie dann zwar unter ihren neuen Landsleuten fließend sprechen und sich auch im Verhalten anpassen, aber Rückschritte machen, sobald jemand oder etwas aus ihrer alten Heimat in Sichtweite ist – wie Fall des chinesischen Studenten oder des taiwanesischen Professors.

„Für Immigranten hat es daher sowohl positive als auch negative Folgen, wenn sie im neuen Land unter sich bleiben: Einerseits fühlen sie sich geborgener und leiden weniger unter der fremden Umgebung, andererseits behindert genau dies ihre Assimilation der Kultur und auch der Sprache ihrer neuen Heimat“, konstatieren die Wissenschaftler. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2013; doi: 10.1073/pnas.1304435110)

(PNAS, 18.06.2013 – NPO)

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