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Genetik

Haut und Haare vom Neandertaler

Forscher identifizieren, welche Gene wir von unseren eiszeitlichen Vettern geerbt haben

X-Chromosom des Menschen © MMCD

Sie sind das Erbe der Neandertaler: Unsere helle Haut, die dichten Haare und auch Teile unserer Immunabwehr verdanken wir unseren eiszeitlichen Vettern. Das hat ein internationales Forscherteam herausgefunden, als es nachschaute, wo in unserem Genom Neandertalergene sitzen. Auffallend abwesend sind die genetischen Relikte der Eiszeitmenschen dagegen auf unserm X-Chromosom und im Hodengewebe – in den Bereichen, die für die Fortpflanzung entscheidend sind, wie die Forscher in „Science“ und „Nature“ berichten.

Wir alle tragen einen Teil Neandertaler in uns: Immerhin rund zwei Prozent unseres Erbguts stammen von unserem urzeitlichen Vetter. Einige unserer Vorfahren kreuzten sich vor 80.000 bis 40.000 Jahren offenbar mit Neandertalern und zeugten gemeinsam Nachwuchs. Aber wo sitzen diese zwei Prozent Neandertalergen, die wir diesen Kreuzungen verdanken? Und wie haben sie uns und unsere Vorfahren beeinflusst? Das hat jetzt ein internationales Forscherteam um Sriram Sankararaman von der Harvard Medical School in Boston erkundet.

Genrelikte unregelmäßig verteilt

Für ihre Studie verglichen die Forscher das Genom eines 50.000 Jahre alten Neandertalerskeletts aus dem Altaigebirge mit dem Erbgut von 846 heute lebenden Menschen aus Europa und Asien und 176 Menschen aus dem südlichen Afrika. Die Idee dahinter: Weil die in Afrika gebliebenen Populationen den Neandertalern nie begegnet sind, kann ihre DNA auch keine Neandertalergene enthalten. Haben Europäer, Asiaten und Neandertaler an einem Genort DNA gemeinsam, die nicht bei Afrikanern auftaucht, dann könnten dies bis heute erhaltene Neandertalergene sein.

Die Auswertung lieferte einige Überraschungen. Denn wie sich zeigte, sind die Neandertalergene in unserem Erbgut alles andere als gleichmäßig verteilt. In einigen Regionen tummeln sich bis zu 64 Prozent solcher Genvarianten, in anderen herrscht dagegen geradezu wüstenhafte Leere. Besonders viele Neandertaler-Überbleibsel treten unter anderem in der Erbgut-Region auf, die Gene für die Keratinbildung enthält – einem Hauptbaustein von Haut, Haaren und Nägeln.

Dicke Haare und helle Haut

Möglicherweise, so vermuten die Wissenschaftler, waren es erst diese Neandertalergene, die unseren aus Afrika eingewanderten Vorfahren zu einem dichtem Haarkleid und dicker Haut verhalfen – und damit einem besseren Schutz gegen die Kälte. „Die Neandertaler waren bereits an diese härteren Bedingungen angepasst und könnten unseren Vorfahren diese genetischen Vorteile mitgegeben haben“, spekuliert Seniorautor David Reich von der Harvard Medical School.

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Und auch die Hautfarbe könnte ein Erbe unserer eiszeitlichen Vettern sein, wie eine zweite Forschergruppe um Benjamin Vernot von der University of Washington in Seattle parallel in „Science“ berichtet. Sie stießen auf mehrere Neandertaler-Relikte in Genen, die für die Pigmentierung der Haut zuständig sind. Eines davon gilt als verantwortlich für helle Haut, diese Variante fanden die Forscher bei rund 70 Prozent der Europäer.

Bei den Asiaten fehlte diese Variante des Pigmentgens dagegen völlig. Dafür trugen diese ein anderes Relikt der Neandertaler in ihren Pigmentgenen, eine Genvariante, die die Vermehrung und Reifung der Pigmentzellen in der Haut fördert. Unser Aussehen könnte damit zumindest in Teilen ein Erbe unserer ausgestorbenen Vettern sein. Aber auch Teile unseres Immunsystems sind durch Neandertaler-Relikte beeinflusst, darunter Gene, die unsere Anfälligkeit gegenüber Leberzirrhose, Morbus Crohn und Altersdiabetes.

Genwüste im X-Chromosom

Auffallend abwesend sind Neandertaler-Gene dagegen in anderen Abschnitten unseres Genoms. Insgesamt vier solcher „Wüsten“ zählten die Forscher bei Europäern, 14 bei Asiaten. „Das deutet darauf hin, dass einige von den Neandertalern geerbten Genvarianten für unsere Vorfahren schädlich waren und deshalb durch die Selektion entfernt wurden“, erklärt Sankararaman.

Die größte Wüste in beiden Populationen liegt auf dem X-Chromosom, einem der beiden Geschlechtschromosomen des Menschen. Einen weiteren nahezu Neandertalergen-freien Bereich entdeckten die Wissenschaftler im männlichen Hodengewebe. Diese Lage der Genwüsten ist ein verräterisches Indiz, wie Sankararaman und seine Kollegen erklären: Dieses Muster tritt bei Tieren immer dann auf, wenn zwei Unterarten genetisch nur noch bedingt kompatibel sind. Aus einer Kreuzung der beiden geht dann meist unfruchtbarer oder zumindest weniger fruchtbarer Nachwuchs hervor – wie beispielsweise Maultiere und Maulesel bei Kreuzungen von Esel und Pferd.

Möglicherweise waren auch Neandertaler und Homo sapiens trotz ihrer engen Verwandtschaft nicht mehr vollkommen kompatibel, als sie vor rund 40.000 Jahren gemeinsam in Europa und Asien lebten. Unsere frisch aus Afrika eingewanderten Vorfahren trennte damals offenbar schon mehr von ihren eiszeitlichen Vettern als ihr Aussehen und ihre Lebensweise. Als sie sich nach rund 500.000 Jahren der Trennung in Europa wiedertrafen, lag auch genetisch bereits eine kleine Welt zwischen ihnen. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature12961; Science, doi: 10.1126/science.1245938)

(Nature / Science, 31.01.2014 – NPO)

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