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Biologie

Hai-Darm funktioniert wie ein Tesla-Ventil

Spiraldarm der Haie bremst Nahrungspassage und verhindert Rückfluss

Spiraldarm
Dieses Röntgenbild eines Hai-Spiraldarms zeigt die wendelförmige Innenstruktur dieses Verdauungsorgans. © Samantha Leigh/ California State University

Geniales Patent der Natur: Forscher haben erstmals dreidimensionale Einblicke in den Spiraldarm von Haien bekommen – und Überraschendes entdeckt. Denn der durch interne Strukturen spiralig segmentierte Darm sorgt nicht nur dafür, die Nahrung abzubremsen und so die Verdauung zu verbessern. Er funktioniert auch wie ein Tesla-Ventil: Die Nahrung kann in eine Richtung passieren, wird in Gegenrichtung aber aufgehalten.

Haie sind nicht nur die Top-Prädatoren der Meere, sie zählen auch zu den ältesten und vielfältigsten Tieren im Ozean. Einige von ihnen gehören zu den langlebigsten Wirbeltieren, andere fluoreszieren oder sind die größten Fische im Meer. Sie können vergleichsweise große Beute fressen, aber auch Wochen ohne Nahrung auskommen. In Anpassung daran besitzen Haie und andere frühe Knorpelfische zwischen Vorderdarm und Enddarm eine speziellen Darmabschnitt – den Spiraldarm.

Spiraldarm
Diese CT-Aufnahme zeigt einen Hai-Spiraldarm von schräg vorne. © Samantha Leigh/ California State University

Rätsel Spiraldarm

Die innere Oberfläche des Hai-Spiraldarms ist durch bis zu 50 spiralig gewundene oder mehrfach unterteilte Falten stark vergrößert. Schon länger gehen Zoologen davon aus, dass dies die Passage des Nahrungsbreis verlangsamen und die Resorption von Nährstoffen verbessern soll. Doch wie genau der Spiraldarm funktioniert und wie er im Detail beschaffen ist, blieb bisher unklar. „Es ist höchste Zeit, dass die wirklich erstaunlichen Spiraldärme der Haie mal mit moderner Technologie anschaut werden“, sagt Erstautorin Samantha Leigh von der California State University.

Für ihre Studie haben sie und ihr Team erstmals die Spiraldärme von fast drei Dutzend Haiarten aus 22 Familien mittels hochauflösender Computertomografie untersucht. Für die vier Hauptformen des Spiraldarms ermittelten sie zudem, in welchem Tempo verschiedene Flüssigkeiten hindurchfließen, ob sich dieser Durchstrom je nach Richtung unterscheidet und welche Rolle Muskelkontraktionen für den Transport der Nahrung spielen.

Gebremster Durchfluss, geblockter Rückstrom

Das Ergebnis: Wie schon vermutet bremst der Spiraldarm tatsächlich den Transport der Nahrung ab. In den Tests verlangsamte sich der Durchfluss gegenüber dem geraden Vorderdarm bei allen Spiraldarmtypen im Schnitt um das Dreieinhalbfache. Interessanterweise verstärkte sich dieser Bremseffekt deutlich, als die Forschenden testhalber ihren simulierten Nahrungsbrei in verkehrter Richtung durch den Spiraldarm schickten.

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Besonders ausgeprägt war dieser Effekt bei den zwei Spiraldarmtypen mit trichterförmigen Innenstrukturen. „Sie setzen dem Transport nach hinten deutlich weniger Widerstand entgegen als dem umgekehrten Durchfluss“, so Leigh und ihr Team. „Das zeigt, dass diese Strukturen auf passive Weise den Nahrungsstrom von vorn nach hinten fördern, aber einen Rückfluss erschweren.“ Bei den Dornhaien, die einen wendelförmigen Spiraldarm besitzen, entdeckten Leigh und ihr Team zudem ein zuvor nicht erkanntes zentrales Lumen – einen durchgängigen Hohlraum in der Wendelachse.

DArm und VEntil
Die Form des Spiraldarms macht ihn zu einem biologischen Teslaventil, oben die Patentzeichnung von Nikola Tesla. © historisch, Samantha Leigh/ California State University

Form und Funktion wie ein Tesla-Ventil

Das Interessante daran: Form und Funktionsprinzip des Spiraldarms ähneln damit verblüffend einem Tesla-Ventil. „Ein solches Ventil erlaubt es Flüssigkeiten, nur in eine Richtung hindurchzufließen, ohne dass es dafür beweglichen Teile benötigt“, erklären die Wissenschaftler. „Dies wird dadurch erreicht, dass das Fluid je nach Richtung unterschiedlichen Wegen folgt. Nach genau diesem Prinzip könnte auch der Spiraldarm der Haie arbeiten.“

Durch dieses Funktionsprinzip sorgt der Spiraldarm dafür, dass der Nahrungsbrei gebremst und gut durchmischt wird, aber nicht zurückströmen kann, wie das Team erklärt. „Die dreidimensionalen Analysen des Haidarms könnten uns damit nicht nur helfen, die Verdauung dieser Fische besser zu verstehen, sie könnten auch dazu beitragen, nach diesem Vorbild bessere Ventilsysteme für industrielle Zwecke zu entwickeln“, konstatieren Leigh und ihre Kollegen.

Als nächstes plant das Forschungsteam, ihre dreidimensionalen Aufnahmen und Modelle der verschiedenen Spiraldarmtypen mit einem 3D-Drucker auszudrucken. Das wird es ihnen ermöglichen, weitere Tests zur Funktion des Haidarms anzustellen. Zudem wollen sie mit Ingenieuren kooperieren, um mögliche Anwendungen von Ventilen nach Spiraldarm-Prinzip zu erforschen.

Warum gibt es vier Spiraldarmtypen?

Ungeklärt ist bisher auch, warum die Haie vier verschiedene Konstruktionstypen von Spiraldärmen entwickelt haben. Denn die Wissenschaftler konnten keinen Zusammenhang zur Art der Nahrung oder der Position der Haifamilien im Stamm finden.“Allgemein scheint die wendelförmige Morphologie zwar die phylogenetisch älteste zu sein, aber die anderen Typen folgen keiner nachvollziehbaren Sequenz“, erklären Leigh und ihr Team.

Auch in diesem Punkt gibt es demnach noch einiges über die Haie und ihren Spiraldarm zu erforschen. „Die große Mehrheit der Haie und ihre Physiologie ist bisher noch kaum erforscht oder sogar völlig unbekannt“, sagt Koautor Adam Summers von der University of Washington. „Fast jede Beobachtung, Visualisierung und anatomische Untersuchung zeigt uns Dinge, auf die wir vorher nie gekommen wären.“ (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2021; doi: 10.1098/rspb.2021.1359)

Quelle: University of Washington

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