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Umwelt

Häuser dünsten Schadstoffe aus

Forscher messen hohe Luftverschmutzung selbst in "ökologischen" Gebäuden

Tief durchatmen? Auch in den eigenen vier Wänden nicht immer eine gute Idee - denn die Innenraumluft kann voll von gesundheitsschädlichen Stoffen sein. © Antonio Guillem/ iStock.com/ public domain (Collage)

Dicke Luft in den eigenen vier Wänden: In unseren Wohnungen und Häusern sind wir mehr gesundheitsschädlichen Chemikalien ausgesetzt als wir glauben. Denn die Innenraumluft enthält teilweise hohe Konzentrationen von Schadstoffen wie Flammschutzmitteln und Weichmachern. Quellen der Belastung sind dabei selbst in nach modernen ökologischen Standards renovierten Wohnungen oftmals die Gebäude selbst – und nicht nur Konsumprodukte der Bewohner, wie eine US-Studie belegt.

Ob Stickoxide, Feinstaub, Ozon oder giftige Schwermetalle: Unsere Luft ist voll von Schadstoffen. Es sind zum Beispiel die Emissionen von Kohlekraftwerken, Müllverbrennungsanlagen und dem Straßenverkehr, die draußen für dicke Luft sorgen und unsere Gesundheit gefährden. Langfristig kann diese Luftverschmutzung zu Asthma, Herz-Kreislauf-Problemen, Krebs oder Entwicklungsstörungen bei Kindern führen.

Doch die Gefahr droht nicht nur vor der Haustür. Auch in unseren eigenen vier Wänden atmen wir womöglich Luft, die mit giftigen Stoffen belastet ist. Diese können etwa aus Möbeln, Textilien oder Putzmitteln in die Innenraumluft gelangen – und möglicherweise auch von im Gebäude verbauten Materialien ausgedünstet werden.

Energieeffizient – aber auch gesund?

Denn: Moderne Gebäude sollen heute zwar in der Regel ökologischen Standards entsprechen und werden daher zum Beispiel energieeffizient gedämmt. „Die Gesundheit der Bewohner steht bei der Konzeption von Häusern und Wohnungen dagegen nicht immer im Vordergrund“, sagt Robin Dodson vom Silent Spring Institute in Newton.

Die US-Wissenschaftlerin und ihre Kollegen sind den Quellen der potenziell krankmachenden Luftverschmutzung in Innenräumen nun genauer auf den Grund gegangenen. Dafür testeten sie Luft- und Staubproben aus frisch nach „grünen“ Standards renovierten Sozialwohnungen in der Stadt Boston auf mehr als 100 Chemikalien. Besonders interessierte sie dabei, ob die Schadstoffe aus dem Gebäude selbst stammten. Aus diesem Grund nahmen sie ihre Proben einmal vor und einmal nach dem Einzug der ersten Mieter.

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Dicke Luft schon vor Erstbezug

Das Ergebnis: Bereits in den noch nicht bewohnten Wohnungen war die Luft alles andere als sauber. So fanden die Forscher unter anderem Flammschutzmittel wie TCPP und TDCPP, das im Verdacht steht, krebsauslösend und fortpflanzungsschädigend zu sein. Beide Stoffe seien vermutlich im Dämmmaterial enthalten, glaubt das Team. Darüber hinaus maßen Dodson und ihre Kollegen auch Stoffe in der Luft, die normalerweise in Kosmetikprodukten vorkommen – eine echte Überraschung.

Unter anderem stießen sie auf oft in Sonnencremes enthaltene Benzophenone, die zwar vor schädlichem UV-Licht schützen, wegen ihrer mutmaßlich hormonähnlichen Wirkung aber auch in der Kritik stehen. Auch einen gängigen Inhaltsstoff von Nagellacken entdeckte das Team in der Luft: den Weichmacher Dibutylphthalat. „Damit hatten wir nicht gerechnet“, sagt Dodson. „Es könnte sein, dass diese Chemikalien in Farben oder Bodenversiegelungen enthalten sind.“

Verbotenes Flammschutzmittel

Nachdem die Mieter eingezogen waren, änderte sich die Zusammensetzung der Luft deutlich. Neben den wahrscheinlich vom Gebäude selbst ausgedünsteten Schadstoffen kamen nun weitere Chemikalien hinzu: unter anderem der oft in Zahnpasta und Waschmittel enthaltene antibakterielle Wirkstoff Triclosan, den Experten wegen seiner Leber schädigenden, die Fruchtbarkeit senkenden und Resistenzen fördernden Wirkung schon länger aus Alltagsprodukten verbannen wollen.

Auch die Konzentration von weiteren Weichmachern und Flammschutzmitteln stieg nach dem Einzug der Mieter. Diese Inhaltsstoffe kommen zum Beispiel in Gegenständen aus Kunststoff und in Möbeln vor. Besonders bedenklich aber: Selbst in den USA sowie der Europäischen Union eigentlich längst verbotene Chemikalien konnten die Wissenschaftler nachweisen, beispielsweise das hoch toxische Flammschutzmittel Pentabromdiphenylether. Das Problem: In älteren oder Second-Hand Möbeln kann der Schadstoff noch immer enthalten sein.

Über den Grenzwerten

Alarmierend auch: Bei etlichen der von Dodson und ihren Kollegen gemessenen Luftschadstoffe überstiegen die Konzentrationen die gesundheitlichen Grenzwerte der US-Umweltbehörde EPA. In allen untersuchten Wohneinheiten war das zum Beispiel für Formaldehyd der Fall, das wahrscheinlich sowohl aus dem Gebäude selbst als auch durch die Bewohner in die Innenraumluft gelangte.

Die Ergebnisse zeigten, dass Bewohner zwar viel für die Luftreinheit in ihren eigenen vier Wänden tun können, sagt Dodson. „Doch auch das Gebäude selbst ist eine bedeutende Quelle von Luftschadstoffen – und auf diese Belastung haben gerade Mieter kaum einen Einfluss.“ Die Forscherin fordert deshalb, dass grüne Baustandards nicht nur Faktoren wie die Energieeffizienz beachten, sondern auch auf die Belastung mit Umweltgiften eingehen sollten. (Environment International, 2017; doi: 10.1016/j.envint.2017.07.007)

(Silent Spring Institute, 12.09.2017 – DAL)

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