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Neurobiologie

Haben Taufliegen einen freien Willen?

Wissenschaftler messen Spontaneität bei Drosophila melanogaster

Es gibt einen freien Willen und echte Spontaneität – jedenfalls bei Taufliegen. Das berichten Wissenschaftler in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift PLoS One.

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Tiere und Insekten werden oft als simple Input-Output-Systeme angesehen: „Tiere, insbesondere Insekten gelten gemeinhin als komplexe Roboter, die eigentlich nur auf Umweltreize reagieren“, erklärt Björn Brembs, Neurobiologe an der Freien Universität Berlin und Co-Autor der Studie. „Wenn Wissenschaftler beobachten, dass Tiere auf die gleichen Umweltreize unterschiedlich reagieren, nehmen sie automatisch an, dass es sich dabei um zufällige Fehler in einem komplexen Gehirn handelt“, so Brembs.

In einer Kombination von automatisierter Verhaltensmessung und neusten, mathematischen Analyse-Methoden hat ein internationales, interdisziplinäres Forscherteam jetzt zum ersten Mal zeigen können, dass sich unterschiedliche Reaktionen nicht auf Zufallsereignisse zurückführen lassen, sondern spontan vom Gehirn erzeugt werden.

Zufalls-Rauschen oder spontanes Verhalten?

Die Wissenschaftler um Brembs fixierten Taufliegen der Art Drosophila melanogaster mit kleinen Häkchen an einem empfindlichen Messgerät, dem sogenannten Drehmoment-Kompensator. Um die Fliegen herum herrschte einförmige, weiße Beleuchtung, sodass die Tiere keinerlei visuelle Eindrücke wahrnehmen konnten. Das Messgerät maß die Versuche der auf der Stelle fliegenden Drosophilae, um die eigene Körperhochachse zu rotieren („Gierungs-Drehmoment“). Die Hakenbefestigung sorgte jedoch dafür, dass sich die Fliegen nicht bewegen konnten; es war ihnen lediglich möglich, mit den Flügeln zu schlagen.

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Nach der gängigen Input-Output Hypothese sollten die Fliegen ohne „Input“, also Reize von außen, lediglich zufallsbedingte Reaktionen produzieren. Daher gingen die Forscher davon aus, dass das Rotationsverhalten der Fliegen in diesem gefangenen Zustand einem zufälligen Rauschen ähneln würde – wie bei dem Radio ohne Empfang.

Die mathematische Analyse ergab jedoch, dass das Verhalten der Fliegen keineswegs dem Phänomen des Radiorauschens glich. Das Team testete nun eine ganze Reihe von komplexen stochastischen Computer-Modellen, doch kein einziges ähnelte dem Verhalten der Fliegen. Was aber war es? Die Forscher wollten nun herausfinden, ob das Verhalten der Taufliegen rein zufällig zustande kam oder doch vorbestimmt, gar beabsichtigt war.

“Nichtlineare Signatur“ entdeckt

Erst nachdem das Verhalten mit einer neuen Methode untersucht wurde, die kurz zuvor von den beiden Ökologen George Sugihara und Hsieh Chih-hao von der Scripps Institution of Oceanography in San Diego entwickelt worden war, kam der Durchbruch bei der Suche nach den Ursachen für die seltsame Spontaneität bei Fliegen. Die rechenintensive so gennante „S-Map Procedure“ detektierte tatsächlich eine nichtlineare Signatur im Fliegenverhalten. Eine solche Signatur findet sich nur in Systemen, deren unvorhersehbares Verhalten systemimmanent ist und nicht durch Zufalls-Rauschen hervorgerufen wird.

„Die Ergebnisse unserer Analyse deuten auf eine Gehirnfunktion hin, die im Laufe der Evolution entstanden ist, um Verhalten immer wieder spontan abzuwandeln“, meint George Sugihara. „Wie es aussieht, gibt es diesen Mechanismus bei vielen Tieren, und es könnte sogar sein, dass er die Grundlage dafür darstellt, was uns den Eindruck von freiem Willen vermittelt.“

Zwischen Zufall und Notwendigkeit

Brembs fügt hinzu: „Unser subjektives Erleben von ‚freiem Willen’ ist eigentlich ein Widerspruch in sich: Wäre unser Verhalten rein zufällig, wäre es nicht unser Wille – und wäre es bestimmt, wäre es nicht frei.“ Wenn es also einen freien Willen gäbe, dann in dem Bereich, der zwischen Zufall und Notwendigkeit liegt – und genau dort findet man auch das Fliegenverhalten: „Es scheint, als sei die Frage, ob wir einen freien Willen haben, falsch gestellt,“ meint der 36-Jährige. „Wenn man fragt‚ wie weit wir von freiem Willen entfernt sind, dann findet man, dass sich genau darin Mensch und Fliege unterscheiden.“

Menschen mögen vielleicht keinen freien Willen im philosophischen Sinne besitzen, biologisch jedoch haben bereits Fliegen für jede Situation eine Vielzahl von Handlungsoptionen, zwischen denen sie entscheiden müssen. Menschen besitzen derer noch viele mehr. Die Ergebnisse überraschten auch den Informatiker Alexander Maye von der Universität Hamburg: „Ich hätte nie erwartet, dass die kleinen Fliegen, die häufig gegen eine Fensterscheibe fliegen, echte Spontaneität zeigen können, wenn man sie genau beobachtet.“

Die nächste Stufe in dieser Forschung wird sein, die neuronalen Netzwerke im Gehirn zu finden und zu verstehen, die das Spontan-verhalten der Fliege generieren. Die Ergebnisse dieser Studien könnten direkt zur Entwicklung von einer neuen Klasse von spontanen Robotern führen oder bei der Bekämpfung von Krankheiten helfen, die beim Menschen durch Reduktion von spontaner Variabilität im Verhalten gekennzeichnet sind, wie z.B. Depression, Schizophrenie, oder Zwangsneurosen.

(FU Berlin, 18.05.2007 – DLO)

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