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Genetik

Gene entscheiden über Wirkung von Antidepressiva

Forscher mit neuen Erkenntnissen über Depressionstherapie

Nicht alle Medikamente, die schwere Depressionen heilen können, wirken auch bei jedem Patienten. Forscher haben nun eine Möglichkeit gefunden, den Erfolg einiger Therapien einzuschätzen. Wie sie festgestellt haben, entscheidet nämlich das Profil des Gens ABCB-1, wie hoch die Konzentration bestimmter Psychopharmaka im Gehirn ist – und somit, wie gut diese wirken.

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Bislang war wenig darüber bekannt, warum Patienten so unterschiedlich auf Antidepressiva ansprechen. Die Entdeckung der Wissenschaftler um Florian Holsboer und Manfred Uhr vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie ist ein weiterer Schritt in Richtung der personalisierten Depressionstherapie, bei der das individuelle biologische Profil die Therapieentscheidung bestimmt.

Viele Patienten, die unter einer schweren Depression leiden, verzweifeln, wenn sie nach einem wirksamen Antidepressivum suchen. Tatsächlich führen die Arzneimittel nach acht bis zwölf Wochen nur bei 60 Prozent der Patienten zu einer vollständigen Heilung. Wovon der Therapieerfolg abhängt, wird seit wenigen Jahren mithilfe genetischer Forschung intensiv untersucht. Wissenschaftler analysieren Gensequenzen von Faktoren, die eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Krankheit und in der Wirksamkeit der Medikamente spielen können.

ABCB-1 Gen im Visier der Forscher

Die Forschergruppe am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München richtete ihr Augenmerk auf das ABCB-1 Gen, das den Bauplan für einen molekularen Transporter enthält, und landete dabei einen Volltreffer. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das Gen den Zugang von Antidepressiva ins Gehirn kontrolliert: „Mit diesen Ergebnissen zum ABCB-1 Gen kommen wir einer personalisierten Therapie für die Depression einen weiteren Schritt näher“, sagt Holsboer in der Fachzeitschrift Neuron.

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Das Gehirn wird vor schädlichen körperfremden Substanzen ganz besonders geschützt. Die Blut-Hirn-Schranke kontrolliert, welche Stoffe zum höchsten Steuerungsorgan gelangen und in welchen Mengen. Das gilt auch für Medikamente. Spezielle Transporter-Moleküle erlauben den kontrollierten Zutritt und den aktiven Rücktransport von Substanzen und gewährleisten physiologisch wirksame Konzentrationen im Gehirn. Das ABCB-1 Gen kodiert für solch ein Transportmolekül – das P-Glykoprotein, welches wie eine Pumpe Substanzen aus der Hirn-Flüssigkeit ins Blut zurück transportiert.

Inwieweit Unterschiede im P-Glykoprotein beim Patienten nachweisbar und für die Behandlung wichtig sind, erforschten Uhr und seine Kollegen in der Studie am Münchner Max-Planck-Institut. An 443 Patienten mit einer Depression untersuchten sie, ob sich der Therapieerfolg der Antidepressiva anhand der individuellen genetischen Ausprägung des ABCB-1 Gens vorhersagen lässt. Von 95 Einzelnukleotid Unterschieden (SNP´s) im ABCB-1 Gen verbesserten mehrere den Therapieerfolg von Antidepressiva, die vom P-Glykoprotein transportiert werden. Patienten, welche an einer bestimmten Position den Genbaustein Cytosin tragen, haben eine 2,5-fach höhere Wahrscheinlichkeit nach vier- bis sechswöchiger Behandlung mit diesen Antidepressiva wieder gesund zu sein als Nicht-Cytosin-Träger.

Neue Einblicke in die Antidepressiva-Wirkung

Zuvor hatte die Forschungsgruppe bereits nachgewiesen, dass das P-Glykoprotein in Mäusen einzelne Antidepressiva wie Citalopram, Paroxetin, Venlafaxine und Amitriptylin aus dem Gehirn transportiert, während es andere Antidepressiva wie etwa Mirtazapine nicht als Substrat erkennt. Die Wissenschaftler haben erstmals belegt, dass die Funktionalität des P-Glykoproteins die Konzentration von einzelnen Antidepressiva im Gehirn bestimmt. Sie vermuten, dass die verbesserte Wirkung der Substanzen bei depressiven Patienten mit den identifizierten Einzelnukleotid Unterschieden im ABCB-1-Gen auf einem ähnlichen Mechanismus beruht.

Der neue Einblick in die Zusammenhänge von Antidepressiva-Wirkung und individuellem Genotyp im ABCB-1 Gen legt die künftige Anwendung von Gentests nahe, um eine kostenintensive und vor allem unwirksame Therapie sowie deren eventuelle Nebenwirkungen zu vermeiden.

In ihrer in der Fachzeitschrift Neuron veröffentlichten Arbeit fordern die Autoren, dass generell alle im Gehirn wirkenden Medikamente auf ihren Status als P-Glykoprotein Substrat hin analysiert werden sollten. Und zwar schon bevor sie ihre Wirksamkeit in klinischen Studien beweisen müssen. „Viele in der Entwicklung stehende Substanzen könnten die notwendigen hohen Wirkprofile und geringere Nebenwirkungen zeigen, wenn sie ausschließlich an Patienten getestet würden, die aufgrund ihres Genprofils auf diese Substanzen positiv reagieren können.“ Werden die Genprofile der Probanden in den klinischen Studien nicht berücksichtigt, fallen manchen Wirkstoffe möglicherweise durch, die bestimmten Patienten helfen könnten.

(MPG, 28.01.2008 – DLO)

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