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Genetik

Gen-„Orchester“ bestimmt Körpergröße

Größte Studie ihrer Art identifiziert hunderte von Genvarianten an mehr als 180 Genorten

Das Gen für „groß“ oder „klein“ gibt es nicht: Das scheinbar so einfache Merkmal unserer Körpergröße ist stattdessen das Resultat einer komplexen Wechselwirkung von hunderten verschiedener Genvarianten. Das hat jetzt ein internationales Forscherkonsortium anhand einer genomweiten Assoziationsstudie an mehr als 180.000 Menschen festgestellt. Wie die Wissenschaftler in „Nature“ berichten, identifizierten sie dabei entscheidende Varianten an 180 verschiedenen Genorten, einige davon nahe Genen, deren genaue Funktion im Zusammenhang mit der Körpergröße bisher unbekannt war.

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Die Körpergröße gilt als Modellfall für die Erforschung der genetischen Ursachen scheinbar einfacher Merkmale: Leicht zu messen und innerhalb der menschlichen Bevölkerung stark variierend, ist sie auf den ersten Blick nicht komplizierter als Gregor Mendels gelbe und grüne Erbsen. Doch im Gegensatz zu Mendels Paradebeispiel ist es bei der Größe nicht ein einziges Gen, das über „groß“ oder „klein“ entscheidet. Stattdessen ist sie das Resultat einer komplexen Wechselwirkung zahlreicher Gene – so wie Dutzende anderer menschlicher Merkmale auch.

Genvarianten von 180.000 Menschen verglichen

„Wenn wir die Genetik der Körpergröße verstehen, wird uns dies auch dabei helfen, die anderen polygenen Merkmale und ihre Vererbung zu verstehen“, erklärt Joel Hirschhorn vom Childrens Hospital Boston und der Harvard Medical School. Einen entscheidenden Durchbruch dazu haben jetzt Hirschhorn und die größte jemals gebildete internationale Forschungskollaboration, GIANT (Genetic Investigation of ANthropometric Traits), erzielt.

Für ihre Untersuchung der genetischen Basis der Körpergröße werteten die Wissenschaftler 46 genomweite Assoziationsstudien aus den USA, Kanada, Europa und Australien aus. Insgesamt wurden die Gendaten von mehr als 180.000 Menschen erfasst und auf Zusammenhänge von Körpergröße mit bestimmten Genvarianten hin analysiert. Weil bei polygenen Merkmalen wie der Größe individuelle Unterschiede durch jeweils ganz andere Kombinationen von Genvarianten verursacht werden, lassen sich Gemeinsamkeiten fast nur mit extrem großen Studienpopulationen finden.

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Hunderte von Varianten an 180 Genorten

Tatsächlich entdeckten die Forscher bei ihrem Vergleich hunderte unterschiedlicher, mit der Köpergröße assoziierter Genvarianten, verteilt auf mindestens 180 verschiedene Stellen im Genom. Die Varianten häuften sich dabei um Gene, die an der Steuerung von sechs biologischen Stoffwechselwegen beteiligt sind. Viele lagen an Genorten, die beispielsweise bereits dafür bekannt sind, bei Skelettwachstums-Syndromen eine Rolle zu spielen. Andere jedoch waren in diesem Zusammenhang bisher völlig unbekannt und entpuppten sich als neue genetische Wachstumsregulatoren. An mindestens 19 Genorten stießen die Wissenschaftler auf multiple Varianten, die jeweils unabhängig voneinander die Körpergröße beeinflussen.

„Diese Genvarianten könnten bis zu 16 Prozent der Größenvariation erklären“, erklärt Kari North, Professor für Epidemiologie an der Universität von North Carolina. „Körpergröße hat eindeutig eine Menge mit Genetik zu tun – kleine Eltern neigen dazu, auch kleinere Kinder zu bekommen und große Eltern haben große Kinder“, so Hirschhorn. „Diese Studie stellt den bisher größten Schritt hin zu einen Verständnis dar, welche der zwischen einzelnen Menschen unterschiedlichen genetischen Varianten für unsere Größenunterschiede verantwortlich sind.“

Assoziationsstudie gibt Hinweise auch auf Genfunktionen

Doch die Studie trägt darüber hinaus auch dazu bei, zwei in der wissenschaftlichen Welt seit längerem diskutierte Kontroversen zu klären. Die eine betrifft die generelle Aussagekraft von genomweiten Assoziationsstudien. Kritiker argumentieren, dass diese Analysen zwar bisher mehr als 1.000 Genvarianten identifiziert haben, die mit menschlichen Krankheiten und Merkmalen in Verbindung stehen, aber nur wenig sinnvolle Information über die zugrundeliegende Biologie gebracht haben.

Das allerdings entkräftet die bisher größte Studie ihrer Art zumindest teilweise: „Mit genügend statistischer Power können wir sehr viele Genorte identifizieren und daraus ergeben sich Hinweise auf relevante biologische Stoffwechselwege, die in kleineren Studien dieser Art nicht auftreten“, erklärt Hirschhorn. Karen L. Mohlke, Professorin für Genetik an der Universität von North Carolina, ergänzt: „Wir haben zwar nicht die gesamte Vererbbarkeit der Körpergröße in dieser Studie geklärt, aber wir sind zuversichtlich, dass diese Gene eine Rolle bei der Größe spielen. Jetzt können wir damit beginnen, die Wege zu erkunden, auf denen diese Gene wirken.“

Starke Effekte auch bei häufigen Genvarianten

Die zweite Kontroverse betrifft die Rolle der häufigen gegenüber den selteneren Genvarianten. Viele Genetiker vertreten heute die Ansicht, dass vor allem die seltenen, bei weniger als einem Prozent der Bevölkerung vorkommenden Varianten die „einflussreicheren“ sind, die Krankheiten auslösen oder Genfunktionen verändern. Doch zumindest in punkto Größe stimmt das so nicht. „Wir zeigen, dass es zumindest bei einigen Fällen die häufige Varianten sind, die den Effekt ausüben“, so der Forscher. „Noch wichtiger: Sie gruppieren sich in Gebieten nahe oder innerhalb bestimmter Gene, die auf spezifische Stoffwechselwege hindeuten – sie sind nicht zufällig über das Genom verteilt.“

(University of North Carolina School of Medicine / Children’s Hospital Boston, 30.09.2010 – NPO)

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