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Neurobiologie

Gehirn: Wie unterscheiden sich „Wissen“ und „Können“?

Forschungsprojekt untersucht Raumwahrnehmung

Dass „Wissen“ nicht gleich „Können“ ist, freut beispielsweise Fahrlehrer und ärgert ihre Schüler: Die könnten nämlich sonst auf teure Fahrstunden verzichten und sich stattdessen die nötigen Fahrkünste aus Büchern aneignen. Wie sich „Wissen“ und „Können“ genau unterscheiden, untersuchen zurzeit Philosophen, Psychologen und Hirnforscher der Universitäten Bonn, Hamburg, Köln und Tübingen in einem neuen Projekt.

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Wenn ein Kandidat in der Spielshow „Wer wird Millionär“ gefragt wird, wer „Für Elise“ geschrieben hat, „feuern“ bei ihm wahrscheinlich ganz andere Neuronen, als wenn er das Stück auf dem Klavier spielen soll: „Wissen“ und „Können“ sind nicht nur rein gefühlsmäßig zwei verschiedene Paar Schuhe; auch organisch spielen sich die zugehörigen Prozesse in unterschiedlichen Hirnregionen statt.

Dieses Phänomen wollen die Wissenschaftler am Beispiel der menschlichen Raumwahrnehmung genauer unter die Lupe nehmen: Der Kölner Hirnforscher Professor Kai Vogeley sowie der Psychologe Mark May von der Universität der Bundeswehr in Hamburg, wollen Probanden mit verbundenen Augen befragen, wo sich bestimmte Gegenstände im Raum befinden. Ein Teil der Versuchspersonen erhält zuvor mündliche Informationen über die Lage der Gegenstände. Ein anderer Teil wird dagegen in einem Testlauf – ebenfalls mit verbundenen Augen – durch den Raum geführt und darf die Gegenstände ertasten.

Danach prüfen die Forscher, wie schnell und genau sich die beiden Testgruppen orientieren und ob sie während dieser Aufgabe unterschiedliche Hirnregionen aktivieren. So wollen sie herausfinden, ob sich sprachlich vermitteltes Raumwissen und sensomotorisch erworbene Raumerfahrung unterscheiden.

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Wissen „in Sätze gegossene“ Information?

Denn nach einer gängigen philosophischen Definition ist Wissen „in Sätze gegossene“ Information – ohne Sprache kein Wissen. Um zu wissen, wer Shakespeare war, brauche ich Sprache. Um laufen zu lernen, nicht. Die Versuchsergebnisse sollen dazu beitragen, diese Begriffsdefinition zu verfeinern. „Wir wollen zu einer trennscharfen Abgrenzung zwischen ‚Wissen‘ und ‚Können‘ kommen“, erklärt der Bonner Philosoph Professor Dr. Andreas Bartels, der diese Thematik zusammen mit seinen Kollegen Professor Dr. Rainer Stuhlmann-Laeisz und Professor Dr. Albert Newen von der Universität Tübingen bearbeitet.

Dazu gehört, dass man genau hinguckt. Denn auch Fähigkeiten erfordern je nach Komplexität ganz unterschiedliches mentales Rüstzeug: Wer stolpert, bei dem greifen innerhalb von Sekundenbruchteilen verschiedene sensorische und motorische Prozesse ineinander, bis er sich mit einem eleganten Ausfallschritt abfängt. Das ist zwar eine Fähigkeit – motorisch gesehen, sogar eine ziemlich komplexe, wie jeder Roboter-Hersteller bestätigen kann. Andererseits lässt sich dieser Stolperreflex kaum mit dem Verstand beeinflussen oder gar willentlich variieren.

Graupapagei unterscheidet Dreiecke und Quadrate

Der nicht nur in Fachkreisen berühmte Graupapagei Alex kann dagegen bewiesenermaßen zwischen Dreiecken, Quadraten oder Kreisen unterscheiden. Er erkennt und identifiziert sieben verschiedene Farben, fünf verschiedene Formen und fünf verschiedene Materialien – eine ungleich komplexere Fähigkeit als der Stolper-Ausfallschritt. „Alex scheint sogar in Begriffshierarchien denken zu können“, sagt Professor Bartels; „er kennt nicht nur die Eigenschaften blau, rot oder gelb, sondern weiß auch, dass alles Farben sind.“

Die Forscher hoffen auch herauszufinden, welche Bedingungen den Wissenserwerb und das Erlernen von Fähigkeiten erleichtern – diese Frage ist nach Pisa aktueller denn je.

(Universität Bonn, 18.04.2005 – DLO)

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