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Neurobiologie

Gehirn schätzt Alter auf spezielle Weise

Informationen über das Alter anderer Menschen aktivieren ein ganz spezielles Hirn-Netzwerk

Was passiert im Gehirn, wenn wir das Alter eines Menschen einschätzen? © SXC

Wenn wir das Alter eines anderen Menschen einschätzen wollen, wird in unserem Gehirn eine ganz spezielle Kombination von Hirnarealen aktiv. Sie unterscheidet sich deutlich von dem Aktivitätsmuster, mit dem wir beispielsweise Gesichtsausdrücke verarbeiten. Das hat ein internationales Forscherteam nun festgestellt. Immer, wenn wir unbewusst die Hautstruktur, Proportionen, Falten und andere Merkmale unseres Gegenübers mustern, laufen zwei spezielle Hirnbereiche im Scheitel- und Schläfenlappen auf Hochtouren, wie sie im Fachmagazin „PloS ONE“ berichten. Ein Nervenstrang verbinde diese beiden Zentren dabei miteinander.

Gesichter erkennen: Darin sind Menschen ziemlich gut. Anscheinend hat es sich im Laufe der Evolution als vorteilhaft erwiesen, wenn man schnell entscheiden kann, ob Freund oder Feind vor einem steht, ob das Gegenüber freundlich lächelt oder grimmig droht. Dementsprechend gut ausgebildet sind im menschlichen Gehirn die Regionen, in denen Gesichter „erkannt“ und verarbeitet werden. Und gut erforscht sind diese Regionen mittlerweile auch. Einen Aspekt hat die Wissenschaft dabei bisher allerdings vernachlässigt: Die Frage, wo im Gehirn entschieden wird, ob ein Gesicht einem eher alten oder einem eher jungen Menschen gehört.

Morphende Gesichter als Test

Diese Frage haben Forscher aus Würzburg, Heidelberg, Nijmegen und Oxford untersucht. In ihren Untersuchungen haben die Forscher Versuchspersonen einen 14 Minuten langen Film vorgeführt, in dem sich Gesichter kontinuierlich veränderten. Innerhalb weniger Sekunden wandelte sich so beispielsweise ein Gesicht von jung zu alt oder von Frau zu Mann – „morphen“ lautet der Fachausdruck für diesen Prozess. Mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie (fMRI) überwachten die Wissenschaftler dabei die Gehirnaktivität ihrer Probanden.

Dass die gezeigten Gesichter nicht nur alterten, sondern bisweilen auch ihr Geschlecht änderten, hatte einen speziellen wissenschaftlichen Zweck: „Wir haben die Geschlechtswahrnehmung als Kontrolle eingebaut“, erklärt Studienleiter György A. Homola vom Universitätsklinikum Würzburg. Denn welche Hirnareale bei dieser Art des Morphens aktiv werden, sei durch andere Untersuchungen inzwischen gut bekannt. Weil die Würzburger Forscher diese Ergebnisse in ihren Experimenten bestätigen konnten, hatten sie gleichzeitig die Bestätigung, dass ihr Versuchsaufbau fehlerfrei war.

Wenn das Gehirn das Alter von Gesichtern verarbeitet, sind viele Regionen daran beteiligt. © György Homola

Anderes Muster als beim Beurteilen von Mimik

Die Resultate zeigen, dass das Alter von Gesichtern über ein eigenes Aktivierungsmuster im hinteren Teil des menschlichen Hirns verarbeitet wird. Dieses Muster unterscheide sich deutlich von demjenigen anderer Gesichtsmerkmale, wie beispielsweise der Mimik, sagen die Forscher. Dies sei möglicherweise auf die Tatsache zurückzuführen, dass individuelle Änderungen des Gesichtsalters sich langsam entwickeln. Im Gegensatz dazu erfordern beispielsweise die flüchtigen Wechsel von Blickrichtungen oder Gesichtsausdrücken ein ständiges Beobachten, können aber dafür vom Beobachter nachgeahmt werden.

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Die Forscher vermuten, dass bei der Alterseinschätzung die gesichtsspezifischen Zentren des Gehirns mit zusätzlichen Bereichen interagieren, um das Alter eines gesehenen Gesichts genau einzustufen. „Wir konnten zwei Bereiche isolieren, die das Alter menschlicher Gesichter verarbeiten. Diese liegen in der unteren Furche des Schläfenlappens und dem unteren Scheitellappen und gehen damit über das bereits bekannte Netzwerk der Gesichtsverarbeitung hinaus“, berichtet Homola.

Die Hirnscans zeigten auch, dass ein senkrecht verlaufendes Nervenbahnbündel diese beiden Bereiche verbindet – und dieses ist quasi ein alter Bekannter: Carl Wernicke, ein deutscher Neurologe und Psychiater, hatte diese Faserbahn schon 1877 beschrieben, ihre Funktion war aber seither kaum untersucht worden. „Wir konnten nachweisen, dass dieses Faserbündel gerade die Bereiche besonders stark miteinander verbindet, die bei der Verarbeitung des Alters menschlicher Gesichter sehr aktiv sind“, sagt Homola. (doi:10.1371/journal.pone.0049451)

(Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 28.12.2012 – NPO)

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