Die Bewegung einer Zelle im Organismus kann mit Hilfe eines Systems variiert werden, das der Gangschaltung eines Autos ähnelt. Verantwortlich dafür ist die Flexibilität eines aus dem Protein Aktin wachsenden Netzwerkes, das die Zellmembran nach vorne drückt und damit für die Zellbewegung sorgt. Das konnten Heidelberger Physiker anhand eines theoretischen Modells belegen.
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Ein solches filamentöses Netzwerk ist in der Lage, sich vollständig umzuorganisieren, wenn es gegen einen größeren Widerstand arbeiten und damit den Druck für die Vorwärtsbewegung erhöhen muss, schreiben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).
Bewegung tierischer Zellen früh entstanden
Die Bewegung tierischer Zellen wurde schon relativ früh in der Evolution entwickelt und basiert daher bei den meisten Zelltypen auf den gleichen grundlegenden Prinzipien. Das wichtigste Element der Zellbewegung ist das gerichtete Wachstum eines Netzwerkes aus Biopolymeren, das aus dem Strukturprotein Aktin aufgebaut wird. Diese so genannten Aktin-Filamente wachsen mit hoher Geschwindigkeit und können ständig neue Tochterstrukturen abzweigen. Durch die Kombination von Wachstum und Verzweigung entsteht ein dichtes Polymernetzwerk, das besonders gut dafür geeignet ist, die Zellmembran in der Zellbewegung nach vorne zu drücken.
Die Eigenschaft filamentöser Netzwerke, Bewegung und Kraft zu erzeugen, ist so robust, dass sie auch von Eindringlingen wie beispielsweise Listeria-Bakerien zweckentfremdet werden kann. Inzwischen ist es sogar gelungen, diesen Mechanismus vollständig außerhalb von Zellen nur im Reagenzglas nachzustellen. Experimentelle Untersuchungen verschiedener internationaler Arbeitsgruppen haben in den vergangenen Jahren viele neue Details dieses erstaunlichen Vorgangs ans Licht gebracht, zugleich aber auch widersprüchlich erscheinende Forschungsergebnisse erzeugt.
Mathematisches Modell sagt Organisation des Aktinnetzwerkes voraus
Die aktuelle Studie von Forschern der Universität Heidelberg belegt, dass Geschwindigkitsunterschiede bei der Zellbewegung maßgeblich von der Vorgeschichte des wachsenden Netzwerks beeinflusst werden, insbesondere davon, wie groß der Widerstand gegen die Bewegung vor einer Messung war.
Physik-Doktorand Julian Weichsel und sein wissenschaftlicher Betreuer Professor Ulrich Schwarz haben mit ihren Arbeiten am Institut für Theoretische Physik und am Forschungszentrum BioQuant ein mathematisches Modell entwickelt, das die räumliche Organisation des wachsenden Aktinnetzwerkes in Abhängigkeit von der Wachstumsgeschwindigkeit vorhersagt.
Netzwerk wächst bei hohen Geschwindigkeiten
Bei hohen Geschwindigkeiten wächst das Netzwerk in einer Form, die vor allem die rasche Zellbewegung erlaubt, gleichzeitig aber wenig Kraft erzeugt. Reicht die aufgebrachte Kraft nicht mehr aus, um den Druck nach vorne sicherzustellen, organisiert sich das Netzwerk sprunghaft um und ermöglicht damit eine größere Krafterzeugung. Dies führt letztlich zu einer robusteren, aber auch langsameren Vorwärtsbewegung.
Der Vorgang ist vergleichbar mit dem Getriebe eines Autos, das in einen niedrigeren Gang geschaltet wird, um mit geringerer Geschwindigkeit, aber größerem Kraftaufwand die Steigung eines Berges zu bewältigen. Die Widersprüche in den experimentellen Befunden zu unterschiedlich schnellen Zellbewegungen lassen sich erklären, wenn berücksichtigt wird, in welchem „Gang“ sich die Zelle gerade bewegt.
(idw – Universität Heidelberg, 25.03.2010 – DLO)