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Biologie

Forscher entdecken erstes Tier ohne aerobe Zellatmung

Zu den Nesseltieren gehörender Lachsparasit erzeugt Energie ohne Mitochondrien

Henneguya salminicola
Sporen des Lachsparasiten Henneguya salminicola – dieses Nesseltier ist das bisher erste bekannte mehrzellige Tier ohne aerobe Zellatmung. © Stephen Douglas Atkinson

Überraschender Fund: Ein kleiner Fischparasit könnte das erste bekannte Tier ohne funktionsfähige Mitochondrien sein – und damit auch ohne aerobe Zellatmung. Denn bei diesem Nesseltier sind die Kraftwerke der Zelle reduziert und auch sämtliche Gene für die Mitochondrienfunktion fehlen ihm, wie Forscher herausgefunden haben. Erklärbar ist dies damit, dass dieser Parasit in sauerstoffarmen Geweben lebt. Doch wie er seine Energie erzeugt, bleibt offen.

Die Mitochondrien sind die Energielieferanten unserer Zellen – und ein integraler Bestandteil aller eukaryotischen Zellen. Denn durch sie können die Zellen unter Sauerstoffverbrauch energiereiche Moleküle erzeugen. Diese Organellen für die aerobe Zellatmung verfügen sogar über ihr eigenes Genom, das primär über die Eizellen weitergegeben wird. Bislang sind nur wenige Eukaryoten bekannt, die die Atmungskette ihrer Mitochondrien teilweise oder ganz stillgelegt haben, darunter die Mistel. Doch ob es auch mehrzellige Tiere gibt, die ohne die klassische Zellatmung auskommen, war bislang strittig.

Sporen von Henneguya salminicola
Fluoreszenz-Aufnahme der Sporen von Henneguya salminicola.© Stephen Douglas Atkinson

Ein Organismus ohne mitochondriales Genom

Jetzt haben Forscher um Dayana Yahalomi von der Universität Tel Aviv ein solches Tier entdeckt. Es handelt sich um den zu den Nesseltieren gehörenden Fischparasiten Henneguya salminicola. Dieser winzige Organismus besteht aus komplex aufgebauten Sporen, mit denen er sich im Muskelgewebe von Lachsen einnistet. Wie bei anderen Myxozoen sind diese Sporen im infektiösen Zustand aus mehreren unterschiedlichen Zellen aufgebaut.

Als die Forscher das Genom dieses Lachsparasiten sequenzierten, fiel ihnen etwas Ungewöhnliches auf: Zwar gibt es in den Zellen von Henneguya salminicola noch ein Mitochondrien-ähnliches Organell, dieses enthält aber kein mitochondriales Genom mehr. Auch in der Zellkern-DNA des Parasiten fehlt ein Großteil der für die Mitochondrienfunktion wichtigen Gene, wie Yahalomi und ihre Kollegen berichten.

Keine aerobe Zellatmung mehr

Das aber bedeutet: Der Lachsparasit Henneguya salminicola hat die Fähigkeit verloren, eine aerobe Zellatmung durchzuführen. Er könnte damit das erste mehrzellige Tier sein, dass diese grundlegende Fähigkeit der eukaryotischen Zellen wieder aufgegeben hat. „Die aerobe Atmung galt im Tierreich als allgegenwärtig“, sagt Yahalomis Kollegin Dorothee Huchon. „Aber nun haben wir bestätigt, dass dies nicht der Fall ist.“

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Die Forscher vermuten, dass der Fischparasit die Sauerstoffatmung aufgegeben hat, weil er ohnehin vorwiegend in sauerstoffarmen Geweben lebt. Von einzelligen Eukaryoten wie einigen Amöben und Wimperntierchen ist eine solche Anpassung an anaerobe Bedingungen bereits bekannt. „Unsere Entdeckung bestätigt nun, dass diese Form der Anpassung nicht auf einzellige Eukaryoten beschränkt ist, sondern sich auch in einem mehrzelligen, parasitischen Tier entwickelt hat“, so Yahalomi und ihr Team.

Energiequelle bislang rätselhaft

Rätselhaft ist allerdings bisher, auf welchem Weg Henneguya salminicola stattdessen seine Energie gewinnt. „Er könnte sie den umliegenden Zellen des Fischgewebes entziehen, aber er könnte auch einen sauerstofffreien Typ der Atmung besitzen, ähnlich wie es anaerobe Einzeller tun“, sagt Huchon. Die Tatsache, dass der Fischparasit zwar die Funktion der Mitochondrien abgestellt hat, aber die Organellen samt ihrer Innenmembranen noch besitzt, könnte möglicherweise auf eine „Zweckentfremdung“ dieser Organellen hindeuten.

„Unsere Entdeckung zeigt, dass die Evolution seltsame Wege gehen kann“, sagt Huchon. „Die aerobe Atmung ist eine wichtige Energiequelle – und doch haben wir ein Tier gefunden, dass diesen entscheidenden Stoffwechselweg aufgegeben hat.“ Was Henneguya salminicola stattdessen tut, sollen nun ergänzende Studien aufdecken. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnas.1909907117)

Quelle: PNAS, American Friends of Tel Aviv University

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