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Zoologie

Fliegen: Schaltplan der Verführung enthüllt

3D-Atlas des Insektenhirns legt geschlechtsspezifische Unterschiede offen

Digitaler Atlas des Fliegenhirns: Darstellung aller Nervenzellen, die am Balzverhalten der Fliege beteiligt sind. Die graue Struktur ist der zentrale Teil des Fliegenhirns, das nur einen halben Millimeter misst. In der linken Hälfte sind die am Balzritual beteiligten Nervenzellen in grün dargestellt. Rechts das Ergebnis der Analyse mehrere tausend Gehirne: individuelle Nervenzellen in jeweils unterschiedlichen Farben. Im Hintergrund die Verbindungen der Zellen untereinander in Form eines Schaltplans. © IMP

Ein Team Wiener Neurobiologen hat erstmals alle am Balzverhalten der Fliege beteiligten Gehirnzellen in Form eines komplexen Schaltplans dargestellt. Die überraschende Erkenntnis aus dem 3D-Atlas: Weibliche und männliche Fliegenhirne weisen unterschiedliche Vernetzungen der Nervenzellen auf, berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Current Biology“.

Zwei Ziele leiten jedes Lebewesen: überleben und fortpflanzen. Ein Set von angeborenen Verhaltensweisen erlaubt es Tieren, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen, ohne die notwendigen Handlungen erst erlernen zu müssen. Auf welche Weise dieses Instinktverhalten im Gehirn verankert ist und wie es genetisch kontrolliert wird, ist bisher noch wenig untersucht.

Balzrepertoire der Fliege im Visier

Neurobiologen am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) erforschen schon seit längerem komplexe angeborene Verhaltensweisen an der Taufliege Drosophila. Als Modell dient das Balzrepertoire des Insekts – ein offensichtlich bewährtes Verhalten, denn die kleine Fliege konnte sich erfolgreich weltweit verbreiten.

Um ein Weibchen zu umgarnen, vollführt das Männchen ein regelrechtes Ritual: Umhertänzeln, Riechen, Betasten und „Singen“ durch Vibration der Flügel gehören zum Repertoire der Annäherung und sind Voraussetzung für die Kopulation. Das gesamte Programm ist im Gehirn der Fliege abgespeichert. Die anatomische Grundlage dafür ist ein Netzwerk von miteinander verbundenen Nervenzellen – Neuronen -, etwa nach Art eines elektronischen Schaltkreises auf einer Platine.

3.000 Fliegenhirne untersucht

Der australische Biomediziner Jai Yu entwickelte im Rahmen seiner Doktorarbeit bei IMP-Wissenschaftler Barry Dickson ein aufwändiges genetisches Verfahren, mit dem es möglich wurde, die am Balzverhalten beteiligten Neuronen selektiv darzustellen. Dazu untersuchte er die halbmillimetergroßen Gehirne von über 3.000 Fliegen, in denen jeweils eine definierte Gruppe von Nervenzellen mit fluoreszierenden Proteinen markiert war.

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Gigantisches Puzzle

„Es war wie ein gigantisches Puzzle“, beschreibt er die Arbeit. „Mit einer Kombination aus Mikroskopie und digitaler Bildbearbeitung gelang es uns, die Teile zusammenzufügen. Nun können wir erstmals den Schaltplan eines tierischen Instinktverhaltens überblicken.“

Etwa 1.500 Neuronen umfasst der Schaltkreis der Verführung bei der Fliege – von den Eingangssignalen aus den Sinnesorganen bis zu den Bewegungsimpulsen an die Muskulatur. Eine weitere Unterteilung nach Gestalt und Vernetzung der Nervenzellen lässt an die hundert verschiedene Zelltypen erkennen, die an der Balz beteiligt sind.

Unterschiedliche Verdrahtung

Die erheblich verfeinerten Methoden, die den Forschern nun zur Verfügung stehen, brachten eine weitere Erkenntnis zu Tage: Die Schaltkreise von Männchen und Weibchen ähneln einander bei oberflächlicher Betrachtung und sind etwa gleich groß. Im Detail sind die Nervenzellen im männlichen und weiblichen Gehirn jedoch unterschiedlich verdrahtet. Identische Reize, über die Sinnesorgane wahrgenommen, führen dadurch zu geschlechtsspezifisch verschiedenen Reaktionen.

Diese Ergebnisse werden in einer zweiten Studie bestätigt, die in Zusammenarbeit mit Forschern am MRC-LMB in Cambridge entstand und in derselben Ausgabe der Zeitschrift erscheint. Den Forschern gelang es sogar mit hundertprozentiger Genauigkeit, die Gehirne nach rein morphologischen Merkmalen dem jeweiligen Geschlecht zuzuordnen.

Neue Impulse für die Grundlagenforschung

Die an den Fliegen gewonnenen Erkenntnisse werden in erster Linie der neurobiologischen Grundlagenforschung neue Impulse geben. „Es ist aufregend, sich vorzustellen, wie wir mit unserer Methode die Funktionen der einzelnen Nervenzellen immer besser kennenlernen. Die Vorgänge im Gehirn werden transparenter und eines Tages werden wir hoffentlich verstehen, wie ein Organismus seine Umwelt wahrnimmt und auf sie reagiert“, so Jai Yu.

(idw – IMP – Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie, 29.09.2010 – DLO)

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