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Medizin

Europa: 2,5 Millionen Infektionen mit Krankenhauskeimen

In der Klinik erworbene Infektionen belasten Patienten in Europa mehr als Aids & Co

Gegen den gefürchteten Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) sind viele Antibiotika wirkungslos. © Frank DeLeo, National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID)

Gefährliche Erreger: Mehr als 2,5 Millionen Patienten infizieren sich in Europa jedes Jahr neu mit Krankenhauskeimen. Die Folgen dieser Infektionen beeinträchtigen die weitere Lebensqualität der Betroffenen erheblich, wie eine Studie nun zeigt – sei es, weil sie früher sterben oder lebenslange Behinderungen davontragen. Insgesamt wiegt die gesundheitliche Last der sechs häufigsten im Krankenhaus erworbenen Infektionen sogar schwerer als die Folgen von Influenza, Aids, Tuberkulose und Co.

Wer als Patient im Krankenhaus liegt, will vor allem eins: möglichst schnell gesund werden. Tatsächlich aber passiert nicht selten genau das Gegenteil. Statt zu genesen, fangen sich viele Patienten in der Klinik zusätzlich zu ihrer eigentlichen Erkrankung eine Infektion mit Krankenhauskeimen ein. Bakterien wie Staphylococcus aureus behindern dabei nicht nur den Genesungsprozess, sondern bedrohen im schlimmsten Fall sogar das Leben der Betroffenen.

In Deutschland sterben nach Schätzungen des Nationalen Referenzzentrums bis zu 15.000 Patienten im Jahr an solchen Infektionen. Das Problem: Viele Krankenhauskeime sind gegen gängige Antibiotika resistent. Sie lassen sich deshalb nur schwer bekämpfen.

Kleine Keime mit großen Folgen

Wissenschaftler um Alessandro Cassini vom European Centre for Disease Prevention and Control in Stockholm haben nun untersucht, wie häufig solche im Krankenhaus erworbenen Infektionen in Europa sind. Erstmals haben sie dabei auch berechnet, wie schwer die gesundheitlichen Folgen für Betroffene wiegen.

Resistenter Durchfall-Erreger Clostridium difficile - einer der häufigsten Krankenhauskeime © CDC

Für ihre Studie werteten die Forscher Daten aus einer Erhebung zum Auftreten von Krankenhausinfektionen in Akutkliniken der Europäischen Union und dem Europäischen Wirtschaftsraum aus. Dabei konzentrierten sie sich auf sechs verbreitete Infektionen – darunter Sepsis, Lungenentzündungen und Infektionen mit dem Erreger Clostridium difficile, einem der häufigsten Krankenhauskeime.

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Lungenentzündungen wiegen besonders schwer

Auf Grundlage dieser Zahlen schätzen Cassini und seine Kollegen, dass in Europa jedes Jahr mehr als 2,5 Millionen Patienten neu an einer dieser Infektionen erkranken. Was aber bedeuten diese Diagnosen für das Leben der Betroffenen? Das kalkulierten die Forscher mithilfe des sogenannten DALY-Modells. Die „disability-adjusted life years“ geben sowohl die durch vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre an als auch die Anzahl der Jahre, die ein Mensch mit Beeinträchtigung oder Behinderung lebt – je schlechter die Lebensqualität, desto höher der DALY-Wert.

Die Ergebnisse zeigen: Insgesamt schlägt die Belastung durch die sechs Infektionen jedes Jahr mit 501 DALYs pro 100.000 Einwohner zu Buche. Mit der größten Beeinträchtigung gehen wegen ihrer Schwere im Krankenhaus erworbene Lungenentzündungen (Pneumonie) und Primärinfektionen der Blutbahn einher. Sie machen den Berechnungen zufolge mehr als 60 Prozent der Gesamtbelastung aus.

Noch unterschätzt?

Besonders erschreckend: Insgesamt ist die Beeinträchtigung durch die Krankenhausinfektionen in Europa größer als die Gesamtlast, die 32 andere von der EU-Agentur überwachte Infektionskrankheiten wie Influenza, HIV/ Aids und Tuberkulose erzeugen.

Tatsächlich könnte der Einfluss der Krankenhauskeime jedoch sogar noch weiterreichen, wie das Team berichtet. Denn weniger verbreitete Infektionen etwa von Kopf und Hals sind in die Untersuchung nicht eingeflossen. „Dieser Faktor könnte zu einer Unterschätzung der Gesamtbelastung geführt haben“, schreiben die Forscher.

Belastung könnte weiter zunehmen

Auch für die Zukunft malen Cassini und seine Kollegen ein eher düsteres Bild: Zunehmende Resistenzen, der Vormarsch von „Superkeimen“ und fehlende Alternativen für unwirksame Antibiotika – all dies seien Trends, die die ohnehin schon hohe Beeinträchtigung durch Krankenhauskeime weiter verschärfen könnten.

„Umso wichtiger ist es, sich verstärkt um die Vorbeugung und Bekämpfung solcher Infektionen zu bemühen – um die europäischen Krankenhäuser letztendlich zu sichereren Orten zu machen“, schließt das Team. (PLOS Medicine, 2016; doi: 10.1371/journal.pmed.1002150)

(PLOS Medicine, 19.10.2016 – DAL)

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