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Umwelt

EU-Behörde: Glyphosat „wahrscheinlich nicht krebserregend“

Neubewertung des umstrittenen Herbizids öffnet Weg zu verlängerter Zulassung

Das großflächig eingesetzte Herbizid Glyphosat ist lauf EFSA "wahrscheinlich nicht krebserregend", Verbraucherschützer sehen das anders. © iStock.com

Krebserregend oder nicht? Laut jüngster Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit ist das umstrittene Herbizid Glyphosat „wahrscheinlich nicht krebserregend“. Umwelt- und Verbraucherschützer sind über das Urteil empört: Wichtige Studien seien vernachlässigt worden und die Entscheidung von wirtschaftlichen Interessen getrieben. Doch einer erneuten Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels steht nach der Neubewertung kaum noch etwas im Wege.

Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat als umstritten zu bezeichnen, ist untertrieben: Kaum ein anderer chemischer Wirkstoff hat in den letzten Jahren so starke Diskussionen ausgelöst. Im März dieses Jahres stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO das Unkrauftvernichtungsmittel als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ ein.

Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) war rund ein Jahr zuvor noch zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen: Es gebe keine Hinweise auf eine krebserzeugende, reproduktionsschädigende oder fruchtschädigende Wirkung durch Glyphosat in Tierversuchen, hieß es in einem Bericht an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

„Eine Fülle neuer Studien und Daten“

Die Diskussion um Glyphosat hat nun neue Brisanz erhalten: In der EU läuft die Zulassung für das Mittel aus. Angesichts der unklaren Datenlage sollte deshalb die Sicherheit des Wirkstoffs neu bewertet werden, bevor die Zulassung um zehn Jahre verlängert werden kann. Die EFSA hat dazu in einem Peer-Review-Prozess mehrere Studien zum Thema ausgewertet. Grundlage ist der BfR-Bericht von 2014.

Das Urteil der EFSA: „Was die Karzinogenität betrifft, so ist es unwahrscheinlich, dass dieser Stoff krebserregend ist“, sagt Pestizid-Referatsleiter José Tarazona. „Eine Fülle neuer Studien und Daten“ lässt die EFSA in ihrem Urteil im Wesentlichen der BfR-Einschätzung folgen, der Glyphosat für unbedenklich erklärt. Weiterhin stellten die Experten eine sogenannte Akute Referenzdosis auf. Dieser Wert gibt an, wie viel eines Wirkstoffes ein Mensch an einem Tag bedenkenlos aufnehmen kann. Für Glyphosat soll die Akute Referenzdosis nun 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht betragen.

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„Unglaubliche Ignoranz der Behörde“

Verbraucherschützer und Umweltschutzverbände sind entrüstet dieses Ergebnis: „Die Einschätzung der EFSA ist unverantwortlich“, kommentiert Sophia Guttenberger vom Umweltinstitut München. Die Behörde habe Studienergebnisse vernachlässigt, aufgrund derer die WHO Glyphosat bereits als wahrscheinlich krebserregend klassifiziert hat. Schon bei einem begründeten Verdacht, dass ein Stoff krebserregend sei, müsse dieser aus dem Verkehr gezogen werden. Die aktuelle Einschätzung dagegen „missachtet das in der EU geltende Vorsorgeprinzip.“

Häufig wird Glyphosat im Obst- und Weinbau eingesetzt, um den Unterwuchs zu entfernen - wie hier in einer Apfelanlage in Südtirol. © Mnolf / CC-by-sa 3.0

Die vorgelegte Bewertung beweise, „dass die EFSA nicht unabhängig von wirtschaftlichen Interessen agiert“, so Guttenberger weiter. Pestizid-Expertin Heike Moldenhauer vom BUND formuliert deutlicher: „Offenbar wollte sich kein EU-Mitgliedstaat mit den Glyphosat-Herstellern und den Bauernverbänden anlegen.“ Der BUND bezeichnet die EFSA-Bewertung als „Beleg für die unglaubliche Ignoranz der Behörde gegenüber den Gesundheitsrisiken des Wirkstoffes“ und kritisiert besonders die festgesetzte Akute Referenzdosis als zu hoch.

Glyphosat-Mittel sind schädlich, Glyphosat nicht

Doch wie kommen diese unterschiedlichen Urteile über die Schädlichkeit von Glyphosat zustande? Offenbar flossen in den Bewertungsprozess der EFSA nun auch mehrere Studien mit ein, die nicht von der IARC bewertet worden waren, was zu einem anderen Gesamturteil führte. Doch genau die Studienauswahl ist auch ein Kritikpunkt der Umweltorganisationen. Sie werfen der EFSA vor, den Fokus zu stark auf Industriestudien gelegt zu haben – und damit auf Untersuchungen, die von den Glyphosat-Herstellern durchgeführt und finanziert worden sind.

Laut EFSA sind zwar einzelne Glyphosat-haltige Unkrautvernichtungsmittel möglicherweise krebserregend, nicht aber der Wirkstoff selbst. In dem Fall sollen Zusatzstoffe in diesen Formulierungen für die krebserregende Wirkung verantwortlich sein. Herbizide, die Glyphosat enthalten, müssten demnach einzeln bewertet werden – gegen eine Zulassung des Wirkstoffs allein spricht aber nachAnsicht der Behörde nichts.

Baldige Neu-Zulassung von Glyphosat?

Die endgültige Entscheidung darüber trifft die EU-Kommission bis Juni 2016, wenn die bisherige Zulassung für Glyphosat ausläuft. Doch aufgrund der EFSA-Bewertung werde es auf eine verlängerte Zulassung hinauslaufen, erwartet BUND-Expertin Moldenhauer. Beim weltweit größten Glyphosat-Hersteller Monsanto freut man sich bereits: „Das Ergebnis der EFSA ist ein entscheidender Schritt im Rahmen des Wiederzulassungsprozesses von Glyphosat durch die europäischen Zulassungsbehörden“, sagt Richard Garnett von Monsanto Europe.

Die Freude ist verständlich: Eine fehlende Zulassung hätte für den Konzern drastische Folgen. „Monsanto als der weltweit größte Glyphosat-Produzent verlöre sein wichtigstes Geschäftsfeld“, schätzt Moldenhauer. „Der Konzern macht die Hälfte seines Gewinns mit Glyphosat und mit an Glyphosat angepasstem Gentech-Saatgut.“ Weiterreichende Konsequenzen wären, dass bei einem vollständigen Verbot auch keine Glyphosat-resistenten gentechnisch veränderten Sojabohnen aus Nord- und Südamerika mehr importiert werden könnten – die Massentierhaltung in Deutschland müsste auf eines ihrer wichtigsten Futtermittel verzichten.

Ob Neuzulassung oder nicht, die Diskussion um das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat wird so bald nicht enden – zu stark widersprechen sich die Positionen: „Glyphosat ist ein wertvoller Baustein einer modernen und nachhaltigen Landwirtschaft“, urteilt Ursula Lüttmer-Ouazane von der Arbeitsgemeinschaft Glyphosat. Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger hält dagegen: „Glyphosat ist wahrscheinlich krebserzeugend, deshalb muss sein Verbot so schnell wie möglich kommen.“

(EFSA / BUND / Umweltinstitut München e.V. / Arbeisgemeinschaft Glyphosat, 13.11.2015 – AKR)

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