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Kognitionsforschung

Es ist keine Raketenwissenschaft!

Wissenschaftler vergleichen die Intelligenz von Raumfahrtingenieuren und Neurochirurgen

Intelligenz
Sind Raketenforscher und Neurochirurgen intelligenter als andere Menschen? Zumindest sprichwörtlich sollen sie es sein. © Ipopba/ Getty images

Kein Hexenwerk: Britische Forscher haben untersucht, inwieweit Sprichwörter die Intelligenz bestimmter Berufsgruppen zurecht in den Himmel loben. Sprichwörtlich gelten im Englischen Raketenwissenschaft und Neurochirurgie als besonders anspruchsvoll und ihre Akteure daher als besonders intelligent. Doch was ist dran an dieser Zuschreibung? Das Ergebnis der Forscher zeigt: Die Sprichwörter liegen eher falsch.

Um im Englischen auf eine simple Tätigkeit hinzuweisen, haben sich im Laufe der Zeit zwei Redewendungen durchgesetzt: „It’s not rocket science“ und “It’s not brain surgery”. Sie suggerieren, dass die jeweilige Profession besonders komplex ist und eine hohe Intelligenz erfordern. Erstere hat sich vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren in den USA durch die breite Berichterstattung über den Wettlauf ins All durchgesetzt. Warum im Speziellen auf die Arbeit von Hirnchirurgen hingewiesen wird, ist jedoch ungeklärt.

Brain surgery is not rocket science!

Doch wie berechtigt ist es, gerade diese beiden Berufe und ihre Protagonisten als besonders intelligent herauszustellen? Unklar ist auch, welche der beiden Berufsgruppen in Sachen Komplexität die Nase vorn hat – ob man beispielsweise auch über einen hirnchirurgischen Eingriff sagen könnte, er sei keine Raketenwissenschaft. Ein Team um Inga Usher vom National Hospital for Neurology and Neurosurgery in London hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Frage abschließend zu klären.

„Der Hauptzweck unserer Studie bestand darin, die Debatte ein für alle Mal zu beenden und Raketenwissenschaftlern und Gehirnchirurgen eine Grundlage für ihr Selbstbewusstsein gegenüber der jeweils anderen Partei zu liefern“, so die Forscher.

Über 400 Intelligenztests

Für ihre Untersuchung ließen die Wissenschaftler knapp 330 Luft- und Raumfahrtingenieure und 72 Neurochirurgen den „Great British Intelligence Test“ absolvieren. Die Probanden wurden dabei unter anderem auf ihre Gedächtnisleistung, ihre Aufmerksamkeit und ihre Reaktionsschnelligkeit getestet. „Der Test ist kein IQ-Test im klassischen Sinne, sondern soll vielmehr verschiedene Aspekte der kognitiven Fähigkeiten feiner differenzieren“, erklären Usher und ihr Team.

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Ihre Wahl fiel auch aus einem anderen Grund auf den „Great British Intelligence Test“: In einer vorangegangenen Erhebung des Imperial College London hatten bereits über 18.000 Briten an dem Test teilgenommen. Anhand dieses Datensatzes konnten die Wissenschaftler die Ergebnisse der beiden Berufsgruppen dadurch zusätzlich denen einer breiten Bevölkerung gegenüberstellen.

Kaum nennenswerte Unterschiede

Der Vergleich von Raketenwissenschaftlern und Hirnchirurgen zeigt: In den meisten intelligenzbezogenen Aspekten gibt es keinen Unterschied zwischen den beiden. Nur in zwei Bereichen konnten die Forscher Auffälligkeiten beobachten: „Luft- und Raumfahrtingenieure zeigten bessere Fähigkeiten in der mentalen Manipulation von Objekten und der Aufmerksamkeit, während Neurochirurgen besser beim Lösen semantischer Probleme waren“, berichten die Wissenschaftler. Aus dem Vergleich geht also kein klarer Sieger hervor.

Gegenüber der Allgemeinheit zeigten nur die Neurochirurgen Unterschiede. Sie konnten Probleme grundsätzlich schneller lösen, büßten allerdings auch Punkte wieder ein, da sie langsamer dabei waren, Erinnerungen abzurufen. Ushers Team empfiehlt demnach: „In Situationen, die kein schnelles Problemlösen erfordern, mag es korrekter sein, den Satz ‚It’s not brain surgery‘ zu verwenden. Aber in Situationen, in denen ein schnelles Abrufen von Informationen erforderlich ist, sollte diese Formulierung vermieden werden.“

Insgesamt stehen die beiden untersuchten Berufsgruppen laut den Forschern aber eher zu Unrecht auf einem sprachlichen Podest. „’It’s a walk in the park’ oder eine ähnliche, nicht berufsorientierte Redewendung wäre wohl angebrachter“, so Usher und ihre Kollegen. „Es ist auch möglich, dass andere Berufe es verdienen, auf diesem Podest zu stehen. Künftige Arbeiten sollten darauf abzielen, die Gruppe zu bestimmen, die es am meisten verdient.“

Nur bedingt repräsentativ

Die Wissenschaftler weisen zuletzt aber auch auf mögliche Fehlerquellen ihrer Arbeit hin. So ist beispielsweise die Kontrollgruppe nur bedingt repräsentativ, da hierfür keine Zufallsstichprobe quer durch die britische Gesellschaft gezogen wurde. „Die Kontrollgruppe war überwiegend weiß, hatte die weiterführende Schule abgeschlossen und verfügte über einen Universitätsabschluss“, so die Forscher.

Zudem sei bei den Sprichwörtern nicht zwingend die Intelligenz der jeweiligen Fachleute gemeint. „Die Ausdrücke könnten auch auf die Komplexität der Aufgaben oder das nötige Hintergrundwissen zum Lösen dieser Aufgaben hinweisen“, so die Wissenschaftler in ihrem Bericht. Bei dem Thema scheint es also noch tiefergehenden Forschungsbedarf zu geben. (The BMJ, 2021; doi: 10.1136/ bmj-2021-067883)

Quelle: The BMJ

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