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Genetik

Erster vollständiger Code eines Chromosoms

Neue Sequenziermethode erlaubt erstmals lückenlose Entschlüsselung der DNA

x-Chromosom
Das X-Chromosom ist nun das erste lückenlos entschlüsselte Chromosom – eine neue Sequenziermethode machte dies möglich. © peterschreibermedia/ iStock.com

Meilenstein der Genetik: Forscher haben erstmals den kompletten Gencode eines menschlichen Chromosoms rekonstruiert – des weiblichen X-Chromosoms. Die Sequenz füllt zum ersten Mal auch die Lücken, in denen zuvor wiederholte DNA-Abfolgen eine Zuordnung verhinderten. Möglich wurde dies durch eine neue Methode der Sequenzierung und viel Puzzlearbeit, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ schreiben. Damit beginne nun eine neue Ära der Genforschung.

Wer glaubt, die DNA-Sequenz unseres Genoms sei längst bekannt, der irrt. Zwar haben Forscher des Humangenomprojekts schon Anfang 2001 eine erste Version unseres Erbguts dekodiert. Doch in diesem Gencode klaffen bis heute große Lücken. Sie betreffen nicht die rund 25.000 proteinkodierenden Gene, sondern die DNA-Abschnitte, in denen vielfach wiederholte und kopierte Basenfolgen liegen. Diese „Junk-DNA“ übt, wie man heute weiß, wichtige Steuerfunktionen im Erbgut aus.

Ein Puzzle mit zu kleinen Teilen

Das Problem jedoch: Mit bisherigen Methoden war die Reihenfolge dieser kopienreichen DNA-Abschnitte nicht zu entschlüsseln. Denn die Sequenziermaschinen zerteilen zum Lesen die DNA in viele, nur rund hundert Basen lange Fragmente. Diese müssen dann nachträglich wieder in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt werden. Das aber ist unmöglich, wenn hunderte oder tausende dieser Stückchen nahezu identisch sind.

„Das ist wie beim Zusammensetzen eines riesigen Puzzles: Je kleiner die Teile sind und je weniger einzigartige Merkmale sie besitzen, desto schwieriger ist es, sie richtig einzufügen“, erklärt Seniorautor Adam Phillippy vom National Human Genome Research Institute (NHGRI). Aus diesem Grund fehlten selbst in den vollständigsten Referenzen bislang große Abschnitte dieser genarmen DNA-Regionen.

Lücken im Chromosom

Besonders gravierend sind diese Lücken im zentralen Bereich aller Chromosomen. Denn diese Abschnitte rund um das Zentromer beinhalten besonders viele wiederholte Basenfolgen. „Deshalb ist bislang kein einziges Chromosom von Ende zu Ende entschlüsselt“, sagt Erstautorin Karen Miga von der University of California in Santa Cruz. Allein im Mittelbereich des X-Chromosoms klafft eine mehr als drei Millionen Basenpaare lange Lücke.

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Doch jetzt schafft eine neue Sequenzier-Technik Abhilfe. „Mit der Nanoporen-Sequenzierung bekommen wir extrem lange Leseabschnitte von hunderttausenden von Basenpaaren am Stück“, erklärt Miga. „Damit können diese Abschnitte auch eine ganze Region wiederholter Abfolgen überspannen.“ Bei der Nanoporen-Methode passieren einzelne DNA-Moleküle durch eine enge Öffnung und ein Gerät registriert die subtilen Spannungsänderungen, die je nach Base auftreten.

X-Chromosom als Vorreiter

Mithilfe dieser Methoden haben Miga und ihr Team nun das erste menschliche Chromosom vollständig – von einem Ende zum anderen dekodiert. Wegen seiner großen Bedeutung für viele Krankheiten und die Geschlechtsunterschiede wählten sie dafür das X-Chromosom. Dieses ist beim Mann nur einmal, bei der Frau aber in zweifacher Ausführung vertreten.

Für die Rekonstruktion nutzten die Forscher einen Zelltyp mit zwei identischen X-Chromosomen, unterzogen ihn der Nanoporen-Sequenzierung und setzen dann die Fragmente mithilfe eines speziellen Computerprogramms zusammen. „Einzigartige Marker dienen dabei als Ankersystem für die langen Leseabschnitte“, erklärt Miga. Das Ergebnis ist das erste lückenlose Genom eines menschlichen Chromosoms.

„Neue Ära der Genforschung“

„Mit diesem Erfolg beginnt eine neue Ära der Genforschung“, konstatiert Eric Green vom NHGRI. „Die Fähigkeit, wirklich vollständige Sequenzen von Chromosomen und Genomen zu erzeugen ist ein technischer Durchbruch. Dies wird uns dabei helfen, die Funktionen des Erbguts besser zu verstehen.“ Denn gerade die Genom-Abschnitte in den bisherigen Leselücken sind besonders variantenreich und könnten wichtige Kontrollfunktionen ausüben.

„Noch wissen wir nicht, was sich alles in den neu entschlüsselten DNA-Sequenzen verbirgt – das ist das aufregend Unbekannte einer Entdeckung“, sagt Phillippy. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2547-7)

Quelle: National Human Genome Research Institute/ NIH, University of California – Santa Cruz

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