Ein Fünftel der Lebensräume in der deutschen Ostsee ist besonders selten oder besonders bedroht. Dies zeigt eine neue Karte der Biotope am Meeresboden, die deutsche Wissenschaftler nun erstellt haben. Verschiedene Arten von Lebensräumen sind darin flächendeckend mit hoher Auflösung verzeichnet. Die Biotopenkarte soll den Naturschutz in der intensiv bewirtschafteten Ostsee erleichtern und ein Vorbild für andere Anrainerstaaten liefern.
Die Ostsee ist ein intensiv genutztes Binnenmeer: 85 Millionen Menschen leben in ihrem Wassereinzugsgebiet, neun Staaten drängen sich um ihre Küsten. Damit der dortige Lebensraum nicht zu sehr unter der menschlichen Bewirtschaftung leidet, ist genau festgelegt, welcher Staat wann und in welchem Bereich der Ostsee aktiv werden darf. Um die entsprechenden EU-Richtlinien umsetzen zu können, sind genaue Kenntnisse der Unterwasserlebensräume und der dort beheimateten Artengemeinschaften nötig.
Tausende von Proben aus vierzehn Jahren
Doch obwohl die Ostsee zu den am meisten erforschten Meeresgebieten zählt, gibt es bislang für keinen der Anrainerstaaten flächendeckende Informationen über die Lebensräume unter Wasser. Grund dafür sind vor allem fehlende Daten: Probennahme und direkte Beobachtung sind nur punktuell möglich, so dass sich nur schwer ein Gesamtbild erstellen lässt.
Kerstin Schiele vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und ihre Kollegen haben diese Wissenslücke nun jedoch zumindest für den deutschen Ostseeraum geschlossen. Das Forscherteam wertete mehrere tausend Proben von im Meeresboden lebenden Organismen aus, die im Zeitraum von 1999 bis 2003 an gut 2.000 verschiedenen Beprobungsstationen genommen worden waren.
Charakter-Arten zeigen Biotopenkarte
In den Proben bestimmten die Meeresforscher zunächst die Häufigkeit sogenannter Makrozoobenthos-Arten, vor allem Muscheln, Schnecken, Kleinkrebse und Würmer. Diese dienen als sogenannte Charakterarten für bestimmte Biotope. So ist beispielsweise die Islandmuschel typisch für bestimmte Schlickböden.
In einem zweiten Schritt sammelten die Wissenschaftler möglichst umfassende Informationen zu chemisch-physikalischen Umweltparametern, etwa zu Wassertiefe, Strömung, Salzgehalt, Wassertemperatur, Sauerstoffverbrauch und Korngröße des Sediments
Die Messdaten von den jeweiligen Beprobungsorten kombinierten Schiele und Kollegen mit weiteren, bereits zuvor veröffentlichten Daten. Dazu setzten sie neue computergestützte Analyseverfahren ein, um die Daten von einzelnen Standorten auf ein flächendeckendes Modell hochzurechnen. So entstand eine Karte, auf der sich jeder Lebensraum einem bestimmten Biotop-Typus zuordnen lässt. Die Grundlage dieser Klassifizierung bildete das von der Ostseeschutzkommission entwickelte, international gültige System HELCOM HUB (Helsinki Commission Underwater Biotope and Habitat classification system).
Ein Fünftel der deutschen Ostsee ist besonders schützenswert
„Für rund ein Fünftel der modellierten Fläche haben wir besonders schützenswerte Biotope ermittelt“, kommentiert Schiele. „Entweder stehen sie auf der Roten Liste stark gefährdeter Biotoptypen oder sind einfach generell sehr selten.“ Insgesamt sei das Modell sehr erfolgreich: Für 95 Prozent der untersuchten Fläche konnten die Forscher einem der Biotoptypen nach HELCOM HUB zuordnen, insgesamt 68 verschiedene Arten von Biotopen kommen demnach in der deutschen Ostsee vor.
Damit sei die Karte ein effektives Instrument für mehr Naturschutz, so Schiele. Sie bietet eine gute Orientierung für genauere Untersuchungen vor Ort, bevor beispielsweise industrielle Großprojekte im Küstenbereich beginnen. Des Weiteren zeigt die Karte an, in welchen Regionen erhöhter Schutzbedarf besteht.
Schiele und Kollegen hoffen auch darauf, ein Vorbild zu liefern: „Außerdem schafft die von uns verwendete Biotop-Klassifizierung nach einem international anerkannten System eine gute Grundlage dafür, dass auch andere Ostsee-Anrainerstaaten kompatible Karten entwickeln können.“ (Marine Pollution Bulletin, 2015; doi: 10.1016/j.marpolbul.2015.05.038)
(Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, 21.09.2015 – AKR)