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Neurobiologie

Digitales Lernen verändert Gehirnkommunikation

Computerspiele können ähnlich wirken wie aktives Erkunden

Lernspiele oder andere digitale Medien beeinflussen die Verbindungen von Nervenzellen im Gehirn nachhaltig. Das hat jetzt ein Experiment deutscher Forscherinnen an Ratten gezeigt. Ein zweidimensionales Raumbild, beispielsweise aus einem Computerspiel, habe bei den Tieren ähnliche Veränderungen im Gehirn bewirkt wie eine aktive Erkundung dieses Raums in der Realität, berichten die Wissenschaftlerinnen im Fachmagazin „Cerebral Cortex“. Damit habe man erstmals belegt, dass dieser Aspekt des Lernens auch bei rein digitalen Lernformen funktioniere.

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Im Hippocampus, einem für das Langzeitgedächtnis zentralen Hirnbereich, arbeiten zwei unterschiedliche Mechanismen zusammen, um neue Informationen für lange Zeit zu speichern. Eine neue Situation führt zunächst dazu, dass bestimmte Nervenzellen vermehrt miteinander kommunizieren – es entstehen gewissermaßen Datenautobahnen zwischen ihnen. In einem zweiten Schritt wird diese Information gewisermaßen gewichtet: Einige dieser Verbindungen zwischen den Zellen schwächen sich nun wieder ab – macht aus Autobahnen wieder Landstraßen oder Feldwege.

Zweischrittiger Lernprozess

„Nervenzellgruppen reagieren zunächst mit einer Potenzierung, beispielsweise wenn wir einen neuen Raum betreten“, erklärt Studienleiterin Denise Manahan-Vaughan von der Ruhr-Universität Bochum. Die später erfolgende Schwächung einiger Verbindungen ermögliche es dann, diese neue Information wieder gezielt zu verändern um die Details und Eigenschaften des Raums zu speichern. Der zweischrittige Lernprozess war bereits zuvor durch Versuche an Ratten, die beispielsweise in einem Labyrinth laufend ihre Umwelt erkunden, belegt. „Wir konnten jedoch nicht sagen, ob die Veränderungen in den Nervenzellen durch die Bewegung beeinflusst werden oder nur aufgrund des Erlernens neuer Objekte auftreten“, sagt Manahan-Vaughan.

Ratten vor dem Bildschirm

Um dies zu klären, führten die Forscherinnen einen Versuch durch, bei dem den Ratten eine neue Umgebung allein auf einem Computerbildschirm präsentiert wurde. Die Tiere hatten keine Möglichkeit, diesen virtuellen Raum durch Laufen zu erkunden, angesprochen war allein der Sehsinn. In den Versuchen beobachteten die Forscherinnen eine Veränderung in der Kommunikation der Nervenzellen im Hippocampus. Ähnlich wie bei aktiven Lernprozessen durch Erkundung verstärkten sich dort einige Verbindungen, andere schwächten sich ab. Auf diese Weise fixiere das Gehirn längerfristig neue Erfahrungen, berichten die Wissenschaftlerinnen.

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Es habe sich gezeigt, dass auch bei diesem zweidimensionalen, digitalen Lernen der zweite Schritt des Lernens, das Abschwächen der Nervenverbindungen, im Hippocampus auftrete, sagen die Wissenschaftlerinnen. Dieser Schritt scheine demnach auch für das passive Lernen wichtig zu sein. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Säugetiere genauso gut lernen, wenn sie Informationen passiv auf einem Computerbildschirm präsentiert bekommen, wie wenn sie für diese Informationen aktiv ihre Umgebung erkunden“, sagt Manahan-Vaughan.

Ergebnisse werfen neues Licht auf digitales lernen in der Schule

„Unsere Ergebnisse helfen zu verstehen, in welchem Ausmaß das digitale Lernen im Gehirn mit dem Lernen in der realen Umwelt konkurriert“, sagt Studienleiterin Denise Manahan-Vaughan von der Ruhr-Universität Bochum. Das sei zum Beispiel interessant, um neue Strategien für die Nutzung digitaler Medien in der Schule zu entwickeln. „Solche Strategien können nützlich sein, wenn Kinder wenig Interesse an herkömmlichen Lehrmethoden zeigen“, meint die Forscherin, die die Studie gemeinsam mit ihrer Kollegin Anne Kemp durchführte.

Der jetzt an Ratten beobachtete Effekt könnte vielleicht auch erklären, warum Schulkinder heute oft eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne und ein schlechteres Merkvermögen zeigen. „Fernsehen oder Computerspielen nach der Schule könnten mit der in der Schule gelernten Information konkurrieren“, mutmaßt Denise Manahan-Vaughan. (Cerebral Cortex, 2011; doi:10.1093/cercor/bhr233)

(Ruhr-Universität Bochum, 27.09.2011 – DLO)

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