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Genetik

Depression: Forscher entdecken 30 neue Gene

Gewaltige Genanalyse enthüllt Zusammenhänge mit Übergewicht, Bildung und Schizophrenie

Die Ursachen von Depressionen liegen sowohl in der Umwelt als auch in den Genen. Forscher haben nun 30 neue verantwortlich Gene entdeckt. © Adrian Hillman, Kirsty Pargeter/ iStock.com

Depressive Gene: Forscher haben 30 neue Geneorte entdeckt, die mit einer schweren Depression zusammenhängen. Die Gene sind besonders in der Großhirnrinde aktiv. Als ursächliche Risikofaktoren identifizierten sie Übergewicht und ein geringes Bildungsniveau. Die Entschlüsselung der genetischen Ursachen sollen dabei helfen die Entstehung von Depression zu verstehen und neue Therapien entwickeln, wie die Forscher nun im Fachmagazin „Nature Genetics“ berichten.

Eine Depression ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung und betrifft Schätzungen zufolge 14 Prozent der Weltbevölkerung. Betroffene sind typischerweise in negativen Gedankenschleifen gefangen, antriebslos und haben manchmal sogar Todesgedanken. Die häufigen Folgen: Arbeitsunfähigkeit und stationäre Behandlung. „Das persönliche Leid der Betroffenen und die volkswirtschaftlichen Folgen sind dramatisch“, sagt Markus Nöthen vom Universitätsklinikum Bonn. „Die vorhandenen Medikamente helfen nicht bei allen Patienten, der Forschungsbedarf ist deshalb groß.“

Großprojekt sucht nach „depressiven“ Genvarianten

Wie bei vielen Erkrankungen stellen sich Forscher auch bei der Depression die Gretchenfrage der Biologie: Welchen Einfluss haben Gene oder Umwelt? „Viele Umweltfaktoren tragen zur Depression bei, aber die Identifikation der genetischen Faktoren stößt die Türen zu den biologischen Ursachen auf“, sagt Erstautorin Naomi Wray von der University of Queensland in Australien. Einen erblichen Zusammenhang nachzuweisen, ist in diesem Fall jedoch aufwendig, denn die Beiträge einzelner Gene zu der komplexen Krankheit sind gering.

Damit die „depressiven Gene“ nicht im genetischen Hintergrundrauschen untergehen, brauchten die Wissenschaftler eine besonders große Stichprobe. Wray hat deswegen zusammen mit 200 weiteren Wissenschaftlern das Erbgut von 135.548 Patienten nach Genen durchleuchtet, die mit Depressionen in Verbindung stehen könnten. Als Vergleich diente ihnen das Erbgut von 344.901 gesunden Kontrollpersonen. Traten Mutationen vergleichsweise gehäuft in den Genen von Erkrankten auf, könnten diese Gene mit der Depression zusammenhängen.

Neue Gene besonders im vorderen Hirnteil aktiv

Das Ergebnis: Die Forscher fanden insgesamt 44 Gene, die mit der psychischen Störung im Zusammenhang standen. 14 davon waren schon in früheren Studien einer Depression zugeordnet worden, 30 Genorte waren komplett neu. Interessant auch: Sechs der jetzt identifizierten Genorte spielen auch für die Schizophrenie eine Rolle, wie Wray und ihre Kollegen berichten.

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Die funktionelle Analyse der neuentdeckten Genvarianten bestätigte, dass eine Depression primär eine Krankheit des Gehirns ist. Wie die Forscher feststellten, wurden die „depressiven“ Genvarianten gehäuft in der Großhirnrinde exprimiert, besonders im präfrontalen Cortex, der für höhere Hirnfunktionen zuständig ist. Die Genvarianten liegen zudem in Gengruppen, die unter anderem für die Synapsen, für die Bildung von Gehirnzellen und für die Regulation der Hirnfunktion zuständig sind.

Bildungsstand und Übergewicht sind Risikofaktoren

Doch was bedeuten diese Ergebnisse? „Alle Menschen tragen weniger oder mehr genetische Risikofaktoren für eine schwere Depression in sich“, erklären Wray und ihre Kollegen. Dennoch bricht die Erkrankung nicht bei jedem aus. Das legt nahe, dass erst das Zusammenwirken weiterer Faktoren mit diesen Genen einen Ausbruch der Depression begünstigt. Welche Faktoren dafür eine besonders große Rolle spielen könnten, haben die Wissenschaftler ebenfalls untersucht.

Das Ergebnis: Jene Menschen, in denen die Risikogene gehäuft auftraten, hatten einen niedrigeren Bildungsstand und höheren Body-Mass-Index. „Ein niedriger Bildungsstand und hoher Body-Mass-Index sind wahrscheinlich ursächlich, wohingegen Depression und Schizophrenie sich eine gemeinsame biologische Ursache teilen“, erklären die Autoren. Dass besonders schlaue Menschen einer Depression verfallen, bleibt dabei ein Mythos: IQ und Depressionen standen genetisch in keinerlei Verbindung.

Bessere Therapien möglich

Für die Wissenschaftler ist diese Studie aber nur der erste Schritt. Sie wollen mehr über die genetischen Fundamente von Depressionen erfahren und verstehen, wie Genetik und Umweltfaktoren zur Entstehung der Krankheit führen. „Jedes zusätzlich identifizierte Gen, das mit der schweren Depression zusammenhängt, trägt zur Aufklärung der zugrundeliegenden biologischen Mechanismen dieser verbreiteten Erkrankung bei“, sagt Nöthen.

Doch was bedeuten die Ergebnisse für die Patienten? Nur etwa die Hälfte der Erkrankten reagiert gut auf aktuelle Therapien. „Die neu entdeckten Genvarianten haben das Potenzial, der Behandlung von Depressionen neues Leben einzuhauchen, indem sie den Weg frei machen für die Entwicklung von neuen und verbesserten Therapien“, schließt Gerome Breen vom King’s College in London. (Nature Genetics, 2018; doi: 10.1038/s41588-018-0090-3)

(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn / King’s College London, 27.04.2018 – YBR)

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