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Evolution

Das Gehirn von Räubern ist anders

Fadenwürmer mit unterschiedlicher Ernährungsweise haben eine andere Verschaltung im Gehirn

Ein Räuber mit seiner Beute: Pristionchus pacificus (unten) macht sich über Caenorhabditis elegans her. © MPI f. Entwicklungsbiologie

Ob ein Fadenwurm ein Räuber ist oder lieber harmlos Bakterienmatten abweidet, lässt sich an seinem Gehirn erkennen: Forscher haben erstmals festgestellt, dass sich auch die Verbindungen zwischen bestimmten Hirnarealen bei beiden Verhaltenstypen unterscheidet. Die Neurone vom Räuber sind ganz anders verschaltet als beim Weidegänger, wie sie im Fachmagazin „Cell“ berichten.

Schon seit langem untersuchen Forscher die Frage, ob sich bestimmte Verhaltensweisen auch im Gehirn und seinen Strukturen widerspiegeln. Das zu klären ist allerdings alles andere als einfach, denn selbst bei einfachen Organismen muss dafür eine ungeheure Menge an Nervenverbindungen und Verschaltungen verglichen und ausgewertet werden. Hinzu kommt, dass viele andere Faktoren ebenfalls Veränderungen im Gehirn bewirken und so den Vergleich verfälschen können.

Um dies einzugrenzen, haben Dan Bumbarger und seine Kollegen vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie sich das Schlundhirn von zwei Fadenwürmern, Caenorhabditis elegans und Pristionchus pacificus vorgenommen. Ihr rudimentäres Gehirn ist vom Nervensystem des Körpers ziemlich abgekoppelt und besteht bei beiden Arten nur aus jeweils genau 20 Nervenzellen. Diese 20 Nervenzellen steuern die Kontraktionen der Schlundmuskulatur, durch die die Nahrung aufgenommen und für die Verdauung im Darm vorbereitet wird.

Während der Fadenwurm Caenorhabditis ein reiner Bakterienfresser ist, ernährt sich der etwas größere Nematode Pristionchus auch räuberisch und frisst auch andere Fadenwurmarten. Um nach Unterschieden in ihrem Gehirn zu suchen, fertigte Bumbarger Ultradünnschnitte von zwei Pristionchus-Exemplaren an und verglich Zahl und Lage ihrer Synapsen mit den bereits bekannten Daten von C. elegans. Trotz der überschaubaren Größe der Nematoden nahmen Präparation und Auswertung der beiden Exemplare über drei Jahre in Anspruch: Jede der rund 150 Mikrometer langen Pharynx-Regionen ergab über 3.000 Schnitte, die einzeln unter dem Mikroskop ausgewertet werden mussten.

Zellzahl gleich, Verschaltungen anders

Die umfangreiche Arbeit lieferte zunächst ein erstaunliches Ergebnis: „Jede der 20 Nervenzellen von Pristionchus pacificus lässt sich aufgrund ihrer Form und ihrer Position genau einer Partnerzelle bei Caenorhabditis elegans zuordnen“, erklärt der Wissenschaftler, „und das, obwohl sich die Entwicklungslinien der beiden Wurmarten bereits vor über 200 Millionen Jahren getrennt haben und die Tiere sich in ihrem Fressverhalten und in der Anatomie ihrer Mundregion deutlich voneinander unterscheiden.“

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Unterschiede finden sich aber bei beiden Würmern in der Zahl und Position der Synapsen, mit denen die Nervenzellen untereinander und mit anderen Zelltypen in Kontakt stehen. Während bei Caenorhabditis nur neun von 20 Nervenzellen so genannte Motoneurone sind, die über ihre synaptischen Kontakte vornehmlich Muskelzellen aktivieren, sind es bei Pristionchus 19. Nur eine Nervenzelle fungiert ausschließlich als Interneuron, das der Verschaltung der Nervenzellen untereinander dient. „Das lässt auf tiefgreifende Unterschiede im Informationsfluss schließen“, sagt Mitautor Ralf Sommer. Offenbar sei die Bewegungsregulation bei P. pacificus wesentlich komplexer – ein Befund, der gut mit dem variablen Fressverhalten des räuberischen Wurms korreliert.

Aktive Steuerzelle versus reiner Vermittlung

Mithilfe bioinformatischer Methoden verglichen die Tübinger auch die Relevanz einzelner Nervenzellen und Schaltstellen für das gesamte Netzwerk. Dabei zeigte sich, dass zwei Nervenzellen im vorderen Schlundbereich bei dem räuberischen Pristionchus deutlich an Bedeutung gewonnen haben: Sie sind für die Steuerung der Muskulatur des bei Pristionchus mit Zähnen besetzten Mundes zuständig. „Die vordere Mundpartie mit den Zähnen ist vor allem während eines räuberischen Angriffs sehr aktiv“, erläutert Sommer, “nicht hingegen bei der Aufnahme von Bakterien.“ Bei Caenorhabditis dagegen, dem Zähne völlig fehlen, wirken diese beiden Nervenzellen ausschließlich als vermittelnde Interneurone.

In den hinteren Schlund-Abschnitten gibt es ebenfalls auffallende Unterschiede. Dort besitzt der weidende Caenorhabditis eine muskuläre Raspelplatte, mit deren Hilfe die ausschließlich bakterielle Nahrung zerkleinert wird. Bei Pristionchus, der keine Raspelplatte besitzt, werden die entsprechenden Muskelzellen zum Teil gar nicht von Motoneuronen innerviert.

„Die synaptischen Verschaltungsmuster spiegeln die grundlegenden Unterschiede im Fressverhalten der beiden Fadenwurmarten somit sehr gut wider“, resümiert Sommer. Ein derart deutliches Ergebnis hatte der Max-Planck-Direktor nicht unbedingt erwartet. Denn andere Forschungsarbeiten an sehr viel einfacheren Verschaltungen – etwa bei der Meeresschnecke Aplysia – deuteten darauf hin, dass Verhaltensänderungen nicht immer mit Änderungen an der Zahl und Lage der Synapsen einhergehen müssen. Unterschiede in den physiologischen Eigenschaften der Nervenzellen oder in der Modulation durch Neurotransmitter können in manchen Systemen hierfür durchaus ausreichen.

(Max-Planck-Gesellschaft, 18.01.2013 – NPO)

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