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Ernährung

Bringt Stevia die Darmflora aus dem Gleichgewicht?

Extrakte des Süßstoffs können Kommunikation zwischen den Bakterien hemmen

Stevia
Die Stevia-Pflanze gilt als gesunder, nachhaltiger Süßstofflieferant. Doch ihre Inhaltsstoffe können offenbar die Kommunikation unserer Darmbakterien stören. © Mokkie /CC-by-sa 3.0

Zuckerersatz mit Nebenwirkung: Entgegen seines gesunden Rufs scheint der Süßstoff Stevia negative Effekte zu haben – er bringt offenbar die Darmflora aus dem Gleichgewicht, wie eine Studie nahelegt. Demnach wird die Kommunikation der Darmbakterien durch die Inhaltstoffe des Süßstoffs gestört, indem diese bestimmte Rezeptoren blockieren. Eine tödliche Wirkung auf die Bakterien hat Stevia aber nicht.

Zucker hat keinen guten Ruf, weil er schlecht für die Zähne, die Figur und den Blutzuckerspiegel ist. Deshalb greifen immer mehr Menschen zu vermeintlich gesunden Alternativen wie etwa zum Süßstoff Stevia. Die Extrakte aus den Blättern der Steviapflanze sind 300 Mal süßer als Zucker, aber kalorienlos und wirken weder auf den Blutzucker noch die Kariesbildung. Trotz dieser Vorteile rät die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit nur kleine Mengen davon zu verzehren.

Das Problem: Studien zeigten bereits, dass künstliche Süßstoffe den Appetit steigern und damit erst recht zu Übergewicht führen können. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Süßstoffe die Darmflora zugunsten von Bakterienarten verändern, die den Stoffwechsel stören– und damit Erkrankungen wie Diabetes fördern. Laut Forschern kann sich dieses mikrobielle Ungleichgewicht bei schwangeren Frauen auch auf die Darmflora des Neugeborenen auswirken.

Wie beeinflusst Stevia die Darmflora?

Inwieweit Süßstoffe wie Stevia aber tatsächlich die Bakterien im Darm beeinflussen, haben Wissenschaftler um Victor Markus von der Nahost-Universität in Nicosia nun näher untersucht. Insbesondere wollten sie prüfen, wie das Gleichgewicht der verschiedenen Darmbakterien verändert wird und welche Inhaltsstoffe von Stevia dafür verantwortlich sind.

Um ihr Verhalten und ihre Populationsdichte zu regulieren, senden Bakterien verschiedene Signalmoleküle aus – die sogenannten Autoinduktoren. Anhand der Konzentration dieser Moleküle können die Mikroorganismen feststellen, wie viele Artgenossen sich in ihrem Umfeld tummeln und ihr Verhalten daran anpassen.

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In ihrer Studie testeten die Forscher zunächst, ob Stevia auf diesen Kommunikationsweg des sogenannten „Quorum Sensing“ wirkt. Dafür gaben sie ein Stevia-Supplement zu einer genetisch veränderten Kultur des Darmbakteriums Escherichia coli. Bei diesem war ein am Quorum Sensing beteiligtes Gen so modifiziert, dass es bei Aktivität ein biolumineszentes Leuchten verursacht.

Stevia-Inhaltsstoffe hemmen Signale

Das Ergebnis: Tatsächlich veränderte das Stevia-Supplement die Kommunikation zwischen den Darmbakterien. Denn bei Zugabe von Stevia nahm die Biolumineszenz der Mikroben deutlich ab, wie die Forscher berichten. Je mehr Stevia hinzugefügt wurde, desto stärker verringerte es auch die Leuchtkraft. Das spreche dafür, dass dieser gängige Stevia-Extrakt die Bakterienkommunikation hemme, so Markus und sein Team.

Um herauszufinden, welche Komponenten des pflanzlichen Süßstoffs für diesen Effekt verantwortlich sind, testeten die Wissenschaftler die drei dominierenden Inhaltsstoffe von Stevia-Extrakten: die Glykoside Steviosid und Rebaudiosid A und das Aglykon Steviol. Diese gaben sie einzeln zu dem bereits zuvor getesteten Escherichia-coli-Stamm und einem ebenfalls mit einem Biolumineszenz-Marker versetzten Stamm des Bakteriums Pseudomonas aeruginosa.

Wirkung je nach Bakterienart leicht unterschiedlich

In diesen Tests zeigten sich artspezifische Unterschiede in Bezug auf die Stevia-Inhaltsstoffe: Bei Escherichia coli wirkten Steviosid und Steviol hemmend auf die Kommunikationssignale, nicht aber das Rebaudosid A. Bei Pseudomonas aeruginosa verringerten dagegen alle Extrakte die Biolumineszenz, wie die Wissenschaftler berichten.

Ihre Ansicht nach legt dieses Ergebnis nahe, dass Stevia die Kommunikation und damit möglicherweise auch das Wachstum verschiedener Bakterienarten jeweils unterschiedlich stark beeinflusst. Wie die Stevia-Inhaltsstoffe konkret wirken, ermittelten die Forscher mithilfe von Computermodellen. Diese zeigten, dass die Komponenten an verschiedene, für das Quorum-Sensing wichtige Rezeptoren der Bakterien binden. Dadurch verhindern sie, dass die Signalmoleküle an diese Rezeptoren andocken und die entsprechenden Reaktionen hervorrufen.

Weitere Forschung nötig

„Zusammenfassend legen unsere Ergebnisse nahe, dass eine reichliche Aufnahme von Stevia das mikrobielle Gleichgewicht der Darmflora stören könnte“, sagen Markus und seine Kollegen. Zwar töteten der Süßstoff und seine Inhaltsstoffe die Bakterienstämme in den Versuchen nicht ab. Die artspezifisch leicht unterschiedliche Wirkung auf die Bakterienkommunikation deuten aber darauf hin, dass die Stevia-Extrakte die Populationen der Darmmikroben aus dem Gleichgewicht bringen können.

„Dies ist eine erste Studie, die darauf hinweist, dass mehr Forschung nötig ist, bevor die Lebensmittelindustrie Zucker und künstliche Süßstoffe durch Stevia und seine Extrakte ersetzt“, betont Markus Kollegin Karina Golberg abschließend. (Molecules, 2020, doi: 10.3390/molecules25225480)

Quelle: American Associates, Ben-Gurion University of the Negev

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