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Ökologie

Blattkäfer: Anderer Baum, anderer Giftcocktail

Forscher weisen bei Larven, die auf Birken spezialisiert sind, eine wesentliche Veränderung im Genom nach

Chrysomela lapponica: Käfer (links) und Larve (rechts) auf Birkenblättern. Die Larve stülpt, an den Bläschen erkennbar (Pfeil), den giftigen Inhalt ihrer Wehrdrüsen aus, mit dem sie ihre Fraßfeinde abwehrt. © Roy Kirsch, Kerstin Ploss / MPI für chemische Ökologie

Der Blattkäfer Chrysomela lapponica befällt zwei verschiedene Baumarten: Weiden und Birken. Um sich vor feindlichen Angriffen zu schützen, produzieren die Käferlarven Toxine wie Buttersäureester oder Salicylaldehyd, deren Vorstufen sie mit der Blattnahrung aufnehmen. Max-Planck-Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass sich diese Giftcocktails in ihrer Zusammensetzung unterscheiden – je nachdem, ob die Larven auf Birken oder Weiden spezialisiert sind.

In ihrer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) berichten die Forscher, dass sich in den auf Birken spezialisierten Käferlarven eine wesentliche Veränderung im Genom herausgebildet hat: Das Salicylaldehyd produzierende Enzym Salicyl-Alkohol-Oxidase (SAO) ist in diesen Populationen nicht mehr aktiv. Die Birkenbewohner sparen sich dadurch die aufwändige Produktion des Enzyms, das sie nicht mehr benötigen, weil dessen Substrat Salicylalkohol in Weiden-, aber nicht in Birkenblättern vorkommt.

Vor allem aber verraten sie sich durch den Wegfall des Salicylaldehyds im Gegensatz zu ihren auf Weiden lebenden Artgenossen nicht mehr ihren Feinden, die anhand der duftenden Substanz Blattkäferlarven aufspüren können.

Giftiges Wehrsekret

Käferlarven sind Teil einer Nahrungskette. Sie werden attackiert von räuberischen Insekten und Parasiten, beispielsweise Schwebfliegen und Wanzen, und können zudem von Bakterien und Pilzen befallen werden. Um sich dagegen zu schützen, haben einige Blattkäferlarven äußerlich wie auch im Stoffwechsel einen interessanten Mechanismus entwickelt: Bei Gefahr stülpen sie blasenartig den Inhalt von Wehrdrüsen aus.

Im Wehrsekret wiederum befinden sich Giftstoffe, die die Tiere aus chemischen Vorstufen ihrer pflanzlichen Nahrung produzieren. Mit Hilfe eines ausgeklügelten molekularen Transportsystems werden die pflanzlichen Giftvorstufen vom Darm bis in die Wehrdrüsen geschleust. In der Drüse sind dann nur noch wenige Schritte notwendig, um das eigentliche Gift zu erzeugen.

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An die Wirtspflanze gebunden

Die meisten Blattkäferarten attackieren nur eine einzige Pflanzengattung, um sich zu ernähren und fortzupflanzen. Die Verwertung spezieller pflanzlicher Moleküle als Substrate für giftproduzierende Enzyme ist einerseits für die Larven wirtschaftlich, andererseits entsteht dadurch aber auch eine große Abhängigkeit der Blattkäferart von der jeweiligen Wirtspflanze und ihrer Inhaltsstoffe.

Weiden, die zur Familie der Salicaceae gehören, enthalten in ihren Blättern bis zu fünf Prozent glycosylierten Salicylalkohol (Salicin). Birken hingegen besitzen diese Verbindung nicht. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben deshalb untersucht, wie sich Käfer der Art Chrysomela lapponica sowohl an Weiden als auch an Birken als Wirtspflanzen angepasst haben.

Ein Enzym fehlt

Dazu haben sie zuerst in einem einfachen, aber aussagekräftigen Experiment geprüft, ob der Wegfall des Salicylaldehyds bei den auf Birken lebenden Tieren lediglich auf das Fehlen der Vorstufe Salicin in dieser Baumart zurückzuführen ist. Dazu boten sie hungernden Blattkäferlarven, die sie von Birken gesammelt hatten, Weidenblätter an.

„Die Tiere konnten Salicin aus Weidenblättern aufnehmen, und auch Salicylalkohol war im Wehrsekret der Tiere nachweisbar. Jedoch wurde aus dem Alkohol kein Aldehyd gebildet. Somit musste den Birkentieren das Enzym Salicyl-Alkohol-Oxidase fehlen, das diesen letzten Schritt, also die Oxidation vom Alkohol zum Aldehyd, bewerkstelligt“, so Roy Kirsch, der sich im Rahmen seiner Doktorarbeit diesem Thema widmet.

Biochemische Analysen ergaben nach Angaben der Forscher, dass das Drüsensekret von Salicylaldehyd produzierenden Weidenschädlingen das Enzym Salicyl-Alkohol-Oxidase in auffallend großer Menge enthält. Sie bezeichneten es als SAO-W (W: Weide). Mithilfe entsprechender DNA-Sequenzdaten isolierten und charakterisierten die Wissenschaftler dann das SAO-B (B: Birke) kodierende Gen aus Birkenschädlingen.

27 Aminosäuren machen den Unterschied

Sie stellten dabei fest, dass die Aminosäuresequenzen der beiden Enyzme zu 97 Prozent identisch sind. Allerdings ist die SAO-B durch den Wegfall von 27 Aminosäuren am Anfang der Polypeptidkette inaktiv geworden, was nach heterologer Expression in einer Insektenzellkultur und anschließenden Funktionstests bestätigt werden konnte.

Weitere Untersuchungen an den Wehrdrüsen der Birkenkonsumenten ergaben, dass die Boten-RNA des SAO-B Gens in 1.000fach geringerer Menge im Vergleich zu den Weidenschädlingen vorhanden war und dass das Protein und seine Enzymaktivität sich unterhalb der Nachweisgrenzen befanden. Der Wegfall der Enzymaktivität ist durch eine Mutation im SAO-B Gen bedingt, die sich im Bereich des zweiten Exon-Intron Übergangs befindet. Das wiederum ruft eine veränderte Prozessierung der Boten-RNA, ein so genanntes alternatives Spleißen, hervor, was den Wegfall der 27 Aminosäuren im SAO-B Enzym erklärt, so die Wissenschaftler.

Von der Weide zur Birke

Sie schließen daraus, dass Chrysomela lapponica ursprünglich ausschließlich Weiden als Wirte genutzt hat und von diesen zu Birken gewechselt ist. „Es ist noch unklar, ob die Genmutation den Wirtswechsel von Weide auf Birke überhaupt ermöglicht hat oder ob sie erst nach erfolgtem Wirtswechsel auf die Birke im Verlauf der Evolution adaptiert wurde“, so Wilhelm Boland, Leiter der Studie.

Die genetische Analyse weiterer SAO Gene aus Blattkäferarten der Gattung Chrysomela sollte Aufschluss darüber geben können. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2011; doi:10.1073/pnas.1013846108.)

(MPG, 10.03.2011 – DLO)

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