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Medizin

Bald Grippeimpfstoffe ganz ohne Hühnereier?

Entenzellen liefern ausreichende Virenausbeute für Großproduktion

Noch werden Impfstoffe gegen die Influenza vorwiegend in Hühnereiern vermehrt. Das dauert lange und kann allergische Reaktionen auslösen. Doch jetzt haben Wissenschaftler eine Zellinie aus Entenzellen erzeugt, die schnell wachsen und in denen Influenzaviren sich gut vermehren. Die Virusausbeuten können zukünftig eine Großproduktion von Grippeimpfstoffen in serum-freien Medien ermöglichen.

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Impfstoffe in ausreichender Menge zu produzieren, stellt eine der größten Herausforderungen der Biotechnologie dar – gerade auch angesichts drohender Pandemien der Schweine- und Vogelgrippe. Neben einer schnellen Diagnostik und der raschen Isolierung von Impfstämmen ist es vor allem entscheidend, tierische und humane Zelllinien zu kultivieren, die sich zur Herstellung von viralen Tot- und Lebendimpfstoffen eignen.

Die Mehrzahl aller zugelassenen Impfstoffe gegen Influenza wird gegenwärtig in Hühnereiern hergestellt. Im Fall einer Pandemie, so befürchten Experten, könnten allerdings die Impfstoffe weder in den benötigten Mengen noch schnell genug zur Verfügung stehen. Zudem besteht das Risiko allergischer Reaktionen auf Hühnereiweiß. Dies stellt die Forschung vor die Aufgabe, die Produktion von Impfstoffen auf Wirtszellen umzustellen, in denen sich das Virus ebenso gut vermehren lässt.

Entenzellen als zukünftige Impfstoff-„Brüter“?

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg verfügen kultivieren bereits seit längerem Säugerzellen zur Impfstoffgewinnung. Nun haben die Magdeburger Wissenschaftler anhand zweier Virentypen überprüft, ob sich neue Enten-Zelllinien auch als Wirtszellen für die Grippeimpfstoffherstellung eignen. Dabei arbeiteten sie eng mit der ProBioGen AG in Berlin zusammen, ein auf Säugerzell-Engineering und Zellkulturen spezialisiertes Unternehmen.

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Die Zellen der jetzt neu entwickelten Linie (AGE1.CR) wurden aus Vorläuferzellen der Netzhaut von Embryonen der Moschusente gewonnen. Diese bieten für die biopharmazeutische Anwendung den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu Hühnerzellen nur wenige virale Elemente im Erbgut tragen. Damit wird das Risiko von unvorhergesehenen Veränderungen in der Zelle während der Produktion minimiert. Darüber hinaus wurde ihre Herkunft eindeutig dokumentiert, als sicher eingestuft und sämtliche bisherigen Arbeitsschritte und Passagen dokumentiert. Die Entenzellen sprechen außerdem auf mehrere Viren an, wie zum Beispiel Influenza-Viren, stark abgeschwächte, modifizierte Pockenviren (MVA-Viren) sowie Tollwut- oder Herpesviren.

Wachstum in serum-freier Nährlösung

Die neuen Zellen wachsen in Suspension. Sie benötigen kein Serum, das teuer ist und zudem zu unerwünschten Kontaminationen mit Fremderregern führen kann. Darüber hinaus lässt die meist unterschiedliche Qualität einzelner Serum-Chargen die Prozessausbeuten oft erheblich schwanken. Im Gegensatz dazu sind Verfahren, die in serum-freiem Medium stattfinden, besser reproduzierbar. Da die genaue Zusammensetzung solcher Medien gezielt verändert werden kann, eignen sich diese besonders gut zu Studien, die Einflussgrößen auf Zellwachstum und Virusvermehrung untersuchen und die Prozesse durch mathematische Modelle beschreiben.

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Der Zelllinie AGE1.CR wurde ein zusätzliches Gen mit auf den Weg gegeben, das die Virusausbeute steigern soll. „Wir konnten also zwei Zelllinien vergleichen – die ursprüngliche und die modifizierte (AGE1.CR.pIX). Wir haben untersucht, unter welchen Bedingungen sich Zellen und Viren optimal vermehren und welche Prozessparameter für die Impfstoffherstellung entscheidend sind“, sagt Udo Reichl, Direktor am Max-Planck-Institut Magdeburg und Leiter der Fachgruppe Bioprozesstechnik.

Nicht-modifizierte Zellen wachsen besser

Die neuen Zelllinien wurden von der Magdeburger Forschergruppe zunächst unter verschiedenen Bedingungen kultiviert, um das Wachstum und den Stoffwechsel der Zellen zu untersuchen. Primäres Ziel war dabei zunächst, möglichst hohe Zellkonzentrationen zu erreichen, da mehr Wirtszellen auch höhere Virusausbeuten erwarten lassen.

Das Ergebnis: Mit beiden Zelllinien konnten hohe Zelldichten von bis zu fünf bis acht Millionen Zellen pro Milliliter erreicht werden. Die modifizierte Zellinie bewährte sich dabei jedoch nicht: Forscher haben im Vergleich beider Zelllinien beobachtet, dass die AGE1.CR.pIX Zellen langsamer wachsen als ihre Doppelgänger ohne Gen. Anscheinend sind der Stoffwechsel und damit das Zellwachstum durch dieses Gen verändert.

Insgesamt sind die Forscher jedoch zufrieden: Die neuen Vogel-Designerzellen zeigten für Influenzaviren eine ebenso gute Produktivität wie MDCK- und Vero-Zellen, die bisher gängigen Produktionszelllinien für Humanimpfstoffe. Die Virusausbeuten machen zudem eine Großproduktion von Grippeimpfstoffen in serum-freien Medien möglich.

(Max-Planck-Gesellschaft, 04.08.2009 – NPO)

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