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Biologie

Bakterium zeigt Todeszonen im Meer an

Forscher entdecken in der zentralen Ostsee ein Indikator-Bakterium für marine Sauerstoffdefizitzonen

Todeszonen in europäischen Meeren: Rote Kreise zeigen Ort und Ausdehnung der bekannten Todeszonen, Schwarze Punkte zeigen vorhandene, aber in ihrer Größe noch unerforschte Todeszonen. © NASA/ Earth Observatory

Forscher haben in der Ostsee ein dort bislang unbekanntes Bakterium aufgespürt, das künftig als Anzeiger für sauerstoffarme „Todeszonen“ in allen Ozeanen dienen könnte. Der Einzeller namens SUP05 hat sich offenbar auf den Abbau teilweise hochgiftiger Schwefelverbindungen spezialisiert, die unter Sauerstoffmangelbedingungen entstehen. Zugleich wirkt SUP05 aber auch als Entgifter, der zum Beispiel toxischen Schwefelwasserstoff abbaut, bevor er aus der Tiefe in die oberflächennahen Bereiche der Ostsee gelangt, wie die Forscher im Fachmagazin „Applied Environmental Microbiology“ berichten.

Als Folge des globalen Klimawandels nehmen weltweit Meeresgebiete zu, in denen Sauerstoffmangel herrscht. In diesen häufig auch als „Todeszonen“ bezeichneten Bereichen ist nur noch mikrobielles, aber kein höheres Leben – zum Beispiel in Form von Fischen – mehr möglich. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde arbeiten daher mit Hochdruck daran, die Folgen dieses weltweiten Trends zu erforschen. Im Fokus stehen dabei die fast ausschließlich von Mikroorganismen gesteuerten Stoffumsetzungen in den Sauerstoffmangelzonen, die entscheidend dafür sind, welche unter Umständen giftigen Substanzen in angrenzende Meeresbereiche freigesetzt werden. Die von Natur aus sauerstoffarmen Becken der zentralen Ostsee eignen sich als ideales Modellsystem, um die Diversität und Aktivität der an den Stoffumsetzungen beteiligten Mikroorganismen zu studieren.

Bakterium SUP05 auch in Ostsee-Todeszonen dominant

Den Warnemünder Wissenschaftlern ist es nun mithilfe molekularbiologischer Methoden gelungen, in den Sauerstoffdefizitzonen der Ostsee ein hier bislang unbekanntes Bakterium aufzuspüren, das dort eine mutmaßliche Schlüsselposition einnimmt. Das Bakterium mit der Kurzbezeichnung „SUP05“ ist bereits aus vielen anderen marinen Sauerstoffminimumzonen bekannt – so zum Beispiel aus Küstenauftriebsgebieten in Atlantik und Pazifik, aus dem Schwarzen Meer, aber auch aus Tiefsee-Hydrothermalquellen, wo der Einzeller Symbiosen mit Muscheln eingeht.

Die Forscher konnten die Existenz von SUP05 in der Ostsee nachweisen, in dem sie in Wasserproben aus den sauerstoffarmen Tiefen der Ostsee die enthaltene DNA analysierten. Das Ergebnis: SUP05 kommt in den Sauerstoffmangelzonen der Ostsee ganzjährig vor und ist hier außerordentlich dominant – 15 bis 30 Prozent aller in den Proben enthaltenen Zellen waren SUP05-Zellen. Damit ist der Einzeller in praktisch allen bisher untersuchten marinen Sauerstoffdefizitzonen nachzuweisen. Deshalb eignet sich dieses Bakterium hervorragend als Indikatororganismus für genau solche, sich immer weiter ausbreitende Todeszonen

Nachgewiesen habe die Forscher das Bakterium über sein Erbgut: In den Proben fanden sie sogenannte 16S ribosomale RNA, die sich eindeutig dem bereits aus anderen Meeresregionen bekannten SUP05 zuordnen ließ. Im nächsten Schritt schleusten die Wissenschaftler eine fluoreszierende Gensonde in die in den Wasserproben enthaltenen Zellen ein, die nur an die 16S ribosomale RNA von SUP05 bindet. Auf diese Weise war es möglich, die nun fluoreszierenden Zellen unter dem Mikroskop eindeutig zu identifizieren, auszuzählen und so die „Besiedlungsdichte“ festzustellen.

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Funktion im Ökosystem noch unklar

Über die Funktion von SUP05 in den Sauerstoffdefizitzonen ist nicht viel bekannt, da dieser Organismus, wie viele andere Bakterien auch, bisher nicht kultivierbar und damit im Labor nicht untersuchbar ist. Genetische Analysen aus anderen marinen Sauerstoffdefizitzonen deuten jedoch darauf hin, dass SUP05 eine wichtige Rolle bei der Oxidation von Schwefelverbindungen spielt, die in den sauerstofffreien Tiefen entstehen, darunter auch der giftige Schwefelwasserstoff. Deshalb kommt SUP05 weltweit und auch in der Ostsee wohl eine wichtige Entgifter-Funktion zu, welche die Menge des in die von Fischen belebten Oberflächenschichten gelangenden toxischen Schwefelwasserstoffs reduziert.

In laufenden genetischen und physiologischen Untersuchungen versuchen die Warnemünder Wissenschaftler nun herauszufinden, welche Rolle SUP05 für die Stoffkreisläufe im Ökosystem Ostsee spielt. In einer Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppen in Kanada und Chile soll außerdem untersucht werden, inwieweit sich das genetische Potential und die ökologische Rolle der Ostseebakterien von den SUP05-Populationen in den Ozeanen der Welt unterscheidet. (Appl. Environ. Microbiol. 2013, ; doi: 10.1128/AEM.03777-12)

(Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, 15.04.2013 – NPO)

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