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Neurobiologie

Aufwühlende Filme hemmen Schmerzen

Das Anschauen emotionaler Spielfilme stärkt das Wir-Gefühl und die Schmerztoleranz

Ein emotional aufwühlender, trauriger Film hat überraschend positive Effekte: Er stärkt das Wir-Gefühl und hemmt Schmerzen © Christopher Pattberg/ iStock.com

Großes Kino: Ein emotional aufwühlender Spielfilm kann bei uns erstaunlich positive Wirkungen entfalten. Denn das Filmschauen dämpft unser Schmerzempfinden, führt zur Ausschüttung von Endorphinen und stärkt noch dazu das Gruppengefühl, wie ein Experiment enthüllt. Das Besondere daran: Bisher schrieb man diese positiven Wirkungen nur Komödien und dem gemeinsamen Lachen zu.

Ob der blutrünstige Krimi, das große Drama oder die bewegende Liebesgeschichte: Das Anschauen von Filmen ist nicht nur ein beliebter Zeitvertreib, viele Geschichten lösen auch eine starke emotionale Reaktion aus: Wir müssen schallend lachen, sind zu Tränen gerührt oder es stockt uns sogar das Blut in den Adern – und das im wahrsten Sinne des Wortes, wie Forscher herausfanden. Sogar Menschenaffen scheinen Filme zu verstehen.

Kino für die Wissenschaft

Welche Wirkung das Anschauen eines emotional aufwühlenden Films auf uns hat, haben nun Robin Dunbar von der University of Oxford und seine Kollegen untersucht. Für ihr Experiment zeigten sie gut 90 Probanden in Kleingruppen einen eigens dafür gedrehten Spielfilm. In diesem wurde die traurige Geschichte von Stuart erzählt, einem behinderten und obdachlosen Jungen, der Missbrauch erlebt, drogensüchtig wird und später Selbstmord begeht. Eine Kontrollgruppe bekam stattdessen zwei Naturdokumentationen zu sehen.

Vor und nach der Filmsession ermittelten die Forscher mit standardisierten Tests die Stimmung der Probanden, ihr „Wir-Gefühl“ in der Kleingruppe und ihre Schmerzempfindlichkeit. Um diese zu ermitteln, mussten die Teilnehmer so lange in der Halbhocke verharren, bis der Schmerz in ihren überanstrengten Beinmuskeln sie zum Aufgeben zwang.

Wir-Gefühl gestärkt

Dabei zeigte sich: Der traurige Film drückte wie erwartet auf die Stimmung der Zuschauer. Gleichzeitig jedoch stärkte das gemeinsame Durchleben der Film-Tragödie auch das Wir-Gefühl der Probanden, wie die Forscher berichten. Bei den Zuschauern der Dokumentationen änderte sich dagegen kaum etwas.

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Nach Ansicht der Forscher könnte dieses gestärkte Zusammengehörigkeitsgefühl einer der Gründe sein, warum emotionale Geschichten in nahezu jeder Kultur eine wichtige Rolle spielen. Ob als erzählte Geschichte, Buch, Drama oder Film: Das gemeinsame Mitfühlen hat einen sozialen Zweck.

Weniger Schmerzen

Noch Spannender aber war eine messbare körperliche Auswirkung des Gefühlskinos: Das emotionale Mitleiden dämpfte das Schmerzempfinden der Probanden – immerhin im Durchschnitt um gut 13 Prozent. Bisher kannte man diesen schmerzhemmenden Effekt von Emotionen nur vom Lachen – und damit von positiven emotionalen Erfahrungen.

Verantwortlich für diesen schmerzhemmenden Effekt sind nach Ansicht der Forscher Endorphine. Diese körpereigenen Botenstoffe werden sowohl bei Freude und Lachen ausgeschüttet als auch – wie sich nun zeigt – bei anderen, negativeren Emotionen. „Das bestätigt, dass auch das Anschauen von Tragödien das Endorphinsystem beeinflusst und darüber sowohl unsere Schmerzempfindlichkeit als auch unser Gruppengefühl“, so Dunbar und seine Kollegen.

Die Forscher betonen jedoch, dass sich der Filmgenuss natürlich nicht auf die rein neurochemische Eben reduzieren lässt: „Unser Genuss der Filme beinhaltet natürlich noch viele andere Aspekte der menschlichen Psychologie“, konstatieren sie. „Aber wir wollten zeigen, dass der Grund, warum wir solche Geschichten genießen, zumindest zu einem Teil auch daher rührt, dass sie bei uns mindestens ein wichtiges neurophysiologisches System beeinflussen.“ (Royal Society Open Science, 2016; doi: 10.1098/rsos.160288)

(Royal Society, 21.09.2016 – NPO)

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