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Biologie

Atacama: Verborgenes Leben im Wüstenkies

Dunkle Flecken in der Wüstenlandschaft erweisen sich als ganz neue Lebensgemeinschaft

Grit Crust
Diese vergrößerte Ansicht eines Steinchens aus der Atacama-Wüste zeigt den verborgenen Bewuchs mit winzigen Flechten und Algen – er reicht bis tief in das Steinchen hinein. © Patrick Jung

Von wegen Wüstenlack: In der Atacama-Wüste haben Forscher eine weltweit einzigartige Lebensgemeinschaft entdeckt – verborgen in den Steinchen des Wüstenkieses. Die darin lebenden Flechten, Algen und Pilze zehren von Photosynthese und dem wenigen Nebel, der morgens über die Wüste zieht. Dabei kommen sie mit weniger Wasser aus als jede andere bekannte Biokruste, wie die Forscher im Fachmagazin „Geobiology“ berichten.

In Wüsten wie der Atacama, der Namib oder der Sahara herrschen extreme Bedingungen – es ist trocken, heiß und Nährstoffe gibt es kaum. Dennoch gibt es auch dort vielfach Leben – unter anderem in Form von Biokrusten. Sie bestehen aus Flechten, Cyanobakterien und Algen, die als millimeterdünne Schicht die Böden bedecken können. Diese auch als kryptogame Bodenkrusten bekannten Gemeinschaften bedecken immerhin rund zwölf Prozent der gesamten Erdoberfläche und gelten daher als wichtige Akteure der globalen Stoffkreisläufe.

Doch wo überall Biokrusten vorkommen und in welchen Varianten diese verborgenen Organismen-Gemeinschaften existieren, ist bisher erst in Teilen bekannt.

Grit Crust
Atacama: Auffallend sind die ausgedehnten, gräulich-dunkel gefärbten Bereiche des Wüstenbodens. © Patrick Jung

Was verbirgt sich im vermeintlichen Wüstenlack der Atacama?

Jetzt haben Forscher einen ganz neuen Typ solcher Biokrusten entdeckt – in der trockensten Wüste der Erde, der Atacama. Schon länger ist bekannt, dass es dort ausgedehnte Flächen mit auffallend dunkel gefärbtem Wüstenkies gibt. Bisher hielt man diese Stellen für Wüstenlack – unbelebte, mineralische Krusten. „Uns ist aber aufgefallen, dass die schwarze Farbe intensiver wird, wenn Nebel aufzieht“, berichtet Erstautor Patrick Jung von der Technischen Universität Kaiserslautern.

Grund genug, um sich das Phänomen genauer anzuschauen. Die Forscher nahmen Proben der rund sechs Millimeter kleinen, von der Kruste dunkel gefärbten Wüstenkies-Steinchen aus Quarz und Granit. Im Labor analysierten sie dann Zusammensetzung und Merkmale der Krusten und untersuchten sie auf Spuren von Leben oder Stoffwechselaktivität.

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Organismengeflecht statt Mineralkruste

Sie wurden fündig: Die vermeintlich rein mineralischen Krusten entpuppten sich als lebendes Gebilde aus miteinander verwobenen Flechten, Pilzen, Cyanobakterien und Algen. Bis zu 90 Prozent des dunklen Überzugs auf dem Wüstenkies bestand aus den winzigen Organismen, wie die Analysen ergaben. „Wir haben es hierbei mit einem neuen Typen von biologischer Kruste zu tun“, berichtet Jung.

In Gegenwart von Wasser und Licht werden diese winzigen Wüstenbewohner aktiv und beginnen, Photosynthese zu betreiben. Im Gegensatz zu den bisher bekannte Biokrusten reicht diesen Lebensgemeinschaften aus der Atacama-Wüste aber schon ein winziger Hauch Feuchtigkeit, wie die Forscher berichten. Schon bei 0,25 Millimetern Wassergehalt werden die Flechten und Algen aktiv – das ist nur halb so viel wie von den trockentolerantesten Biokrusten aus anderen Regionen bekannt.

Dadurch reicht diesen Organismen schon der spärliche Morgennebel, der sich ab und zu über der Wüste bildet. „Diese Krusten sind ziemlich einzigartig, denn jede Nebelschwade ist quasi ein Atemzug der Wüste, auf den sofort biologische Aktivität folgt“, erklären Jung und sein Team.

Leben bis in das Innere der Steine

Ungewöhnlich auch: Diese Organismen scheinen ausschließlich kiesgroße Gesteinskörnchen zu besiedeln. Diese ummanteln sie nicht nur, sie dringen sogar darin ein. „Querschnitte durch kolonisierte Steinchen enthüllten, dass sich die Pilzhyphen der Flechten bis ins Innere der Körnchen hineinzogen“, berichten Jung und sein Team. Dank der porösen Gesteinsstruktur und der hellen Färbung der Körnchen können die in die Hyphen eingebettteten Algen selbst dort noch Photosynthese betreiben.

Damit unterscheidet sich diese Lebensgemeinschaft deutlich von allen bisher bekannte Biokrusten. „Diese Biozönose scheint eine Übergangsform zwischen einer Bodenkruste und einer Gesteinsschicht zu bilden“, so die Forscher. „Wir haben sie daher Grit Crust getauft – Grus- oder Kies-Kruste.“ Dünnschnitte der Flechten zeigten zudem, dass die Flechten nicht nur in die Steinchen eindringen, sondern auch Mineralfragmente in ihre Gewebe eingelagert haben.

Akteure der Verwitterung und Bodenbildung

Die Forscher vermuten, dass die Flechten, Algen und Cyanobakterien dieser neuartigen Krusten die Steinchen nicht nur als Lebensraum nutzen, sondern auch aktiv zu ihrer biologischen Verwitterung beitragen. „Biokrusten haben schon seit dem Erdaltertum eine wichtige Rolle für die Verwitterung von Mineralen und die Bodenbildung gespielt“, erklären Jung und sein Team. Zudem waren solche kryptogamen Krusten wahrscheinlich die ersten Lebewesen, die die Landflächen der frühen Erde besiedelten.

Eine ähnliche Pionierrolle spielt die jetzt in der Atacama entdeckte Lebensgemeinschaft für ihre Umgebung, so die Forscher. Denn die Grus-Krusten produzieren organisches Material nur aus nur aus Licht, Wasser und Mineralen und stellen so die Lebensgrundlagen für andere, höhere Organismen zur Verfügung. „Die Grus-Krusten Gemeinschaften der heutigen Atacama-Wüste könnte damit moderner Vertreter einer sehr urtümlichen Form von Lebensgemeinschaft sein“, sagen Jung und seine Kollegen.

Nach Ansicht der Forscher sollte dieses einzigartige und spannende Ökosystem unbedingt näher erforscht werden. „Es verdient mehr Studien, damit wir seine Artenzusammensetzung besser verstehen, aber auch die ökophysiologischen Merkmale, die ihm Aktivität und Überleben ermöglichen“, sagt das Team. (Geobiology, 2020; doi: 10.1111/gbi.12368)

Quelle: Technische Universität Kaiserslautern

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