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Biologie

Asselspinne ist (fast) unkaputtbar

Spinnenverwandte kann selbst Rumpfsegmente und innere Organe nachwachsen lassen

Asselspinne
Man sieht es ihr nicht an, aber dieser Asselspinne ist ihr komplettes viertes Rumpfsegment nachgewachsen - samt Beinpaar und innerer Organe. © Georg Brenneis

Verblüffende Fähigkeit: Eine in der Nordsee heimische Asselspinne besitzt erstaunliche Fähigkeiten zur Regeneration, wie ein Experiment enthüllt. Demnach kann die achtbeinige Spinnenverwandte nicht nur abgetrennte Beine ersetzen, ihr wachsen sogar Hinterleib und innere Organe nach – das ist ein für Arthropoden bisher einmaliges Phänomen. Weil die Asselspinnen nahe der Basis aller Gliederfüßer stehen, könnte diese Regenerationsfähigkeit sogar ein ursprüngliches Merkmal aller Arthropoden gewesen sein.

Ob Salamander, Meereswürmer oder Axolotl: Einige Tierarten besitzen eine fast unheimliche Fähigkeit zur Regeneration. Trennt man ihnen ein Bein, den Schwanz oder sogar Teile des Rumpfes ab, wächst ihnen das fehlende Körperteil umgehend nach. Die Meeresschnecke Elysia marginata kann sogar ihren gesamten Körper samt aller inneren Organe neu bilden, wenn sie enthauptet wird. Auch einige Insekten, Krebse und Spinnentiere können zumindest einzelne Beine nachwachsen lassen, eine Regeration des Rumpfs ist jedoch bei Arthropoden nicht möglich – so jedenfalls dachte man bisher.

Pycnogonum litorale
Bei Pycnogonum litorale reicht der Darm (rosa) bis in die Beine, das Nervensystem ist grün dargestellt. © Georg Brenneis

Urtümliche Nordseebewohner

Dies widerlegt nun eine im Atlantik und in der Nordsee vorkommende Vertreterin der Asselspinnen, die Knotige Asselspinne (Pycnogonum litorale). Die rund eineinhalb Zentimeter große, weißlich bis hellbraun gefärbte Art lebt in der Gezeitenzone des Meeres und ernährt sich von Seeanemonen, die sie mit ihrem Rüssel aussaugt. Asselspinnen gelten als besonders ursprüngliche Vertreter der Cheliceraten, der Arthropodengruppe, zu der auch Spinnen, Skorpione und Pfeilschwanzkrebse gehören.

Dies zeigt sich auch in ihrem Körperbau: „Anders als die meisten fossilen und noch lebenden Cheliceraten fehlte dem Körper der Asselspinnen die charakteristische Unterteilung in Vorder- und Hinterkörper“, erklären Georg Brenneis von der Universität Wien und seine Kollegen. Dafür ziehen sich die Aussackungen des Darms bis in die Beine hinein und die Geschlechtsorgane liegen bei Pycnogonum litorale im hintersten, vierten Beinpaar.

Regeneration selbst bei Segmentverlust

Bisher war zwar bekannt, dass dieser Asselspinne einzelne abgetrennte Beine nachwachsen können, wie weit diese Regenerationsfähigkeit geht, blieb aber unklar. Dies haben Brenneis und sein Team nun an 23 vorwiegend jungen, noch nicht ausgereiften Asselspinnen untersucht. Dafür amputierten sie den Tieren das letzte oder die beiden letzten Körpersegmente mitsamt der daran hängenden Beine.

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Es zeigte sich: Anders als bisher für Arthropoden angenommen, überstehen Asselspinnen selbst den Verlust von Teilen ihres Rumpfes – zumindest solange sie nicht voll ausgewachsen sind. Denn die adulten Tieren überlebten den Verlust eines oder beider Hintersegmente nicht. Bei fast allen subadulten Exemplaren kam es dagegen zu einer vollständigen oder nahezu vollständigen Regeneration der fehlenden Körperteile am hinteren Körperende, wie die Forschenden berichten.

Lehrmeinung widerlegt

Im Schnitt nach zwei Häutungen hatten die jungen Asselspinnen die amputierten Beinpaare mitsamt deren Innenleben nachgebildet. „Das betraf aber nicht nur die Neubildung von Gliedmaßen“, berichtet Brenneis. „Darüber hinaus bildeten sich fast vollständige hintere Rumpfsegmente mit Muskulatur und Mitteldarmschläuchen und der hinterste Körperanhang mit Enddarm und Anus neu.“ Auch die im letzten Beinpaar liegenden Geschlechtsorgane wuchsen den subadulten Asselspinnen im Verlauf mehrere Häutungen nach.

Nach Ansicht der Forschenden demonstrieren ihre Ergebnisse, dass es sehr wohl Arthropoden gibt, die komplette Körpersegmente inklusive lebenswichtiger Organe nachbilden können. „Das widerlegt das etablierte Dogma, nach denen den Arthropoden die Fähigkeit zu einer solchen axialen Regeration grundsätzlich fehlt“, konstatieren Brenneis und seine Kollegen. „Die Regenerationsfähigkeit der Asselspinnen zeigt einen Grad der Komplexität, der bisher bei Arthropoden unbekannt war.“

Erklärung für sechsbeinige Exemplare

Nähere Analysen ergaben, dass die Regenerationsfähigkeit eng mit den Ganglien der Asselspinne zusammenhängt: Die in jedem Segment vorhandenen Nervenknoten sitzen leicht vor der Segmentgrenze. Wird dann beispielsweise das vierte Rumpfsegment an dieser Grenze abgetrennt, bleibt das für dieses Segment zuständige vierte Ganglion erhalten – und kann das Nachwachsen steuern. Wird hingegen dieses vierte Ganglion mit amputiert, wächst das letzte Segment nicht nach.

Asselspinnen
Asselspinnen gehören zu den urtümlichsten Vertretern der Cheliceraten. Ist auch ihre Regenerationsfähigeit ein ererbtes, ursprüngliches Merkmal der Arthropoden? © Georg Brenneis

Das könnte auch erklären, warum man am Strand häufiger Asselspinnen findet, die nur sechs Beine der statt der üblichen acht besitzen – obwohl sie keine Anzeichen für eine Verletzung aufweisen. Denn beim Verlust zweier Rumpfsegmente verlieren die Asselspinnen das vierte Ganglion. Dadurch können subadulte Tiere das vierten Beinpaar nicht mehr regenerieren und bilden stattdessen einen voll funktionsfähigen After im nachwachsenden dritten Beinpaar. Das Ergebnis ist eine scheinbar intakte, lebensfähige Asselspinne mit sechs Beinen.

Waren auch die Ur-Arthropoden Meister der Regeneration?

Die Resultate werfen auch ein neues Licht auf die evolutionären Hintergründe dieser Fähigkeit. Die Asselspinnen bilden die Schwestergruppe aller anderen Cheliceraten und repräsentieren damit sehr ursprüngliche, frühe Vertreter dieser Tiergruppe. Das könnte bedeuten, dass die Asselspinnen ihre erstaunliche Regerationsfähigkeit nicht neu entwickelt haben, sondern sie von den Ur-Arthropoden erbten.

Möglicherweise war es sogar diese Regenerationsfähigkeit, die zum Erfolg und zur beeindruckenden evolutionären Vielfalt der frühen Gliederfüßer beigetragen haben. „Auch die meereslebenden Arthropoden-Urahnen könnten eine ähnliche Resilienz gegenüber traumatischen Verlusten hinterer Körpersegmente besessen haben – und konnten diese regenerieren“, schreiben Brenneis und seine Kollegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023; doi: 10.1073/pnas.2217272120)

Quelle: Universität Wien

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