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Ökologie

Aronstab betrügt Fliegen

Schwarze Calla imitiert hefeartigen Duft und lockt damit Insekten in die Falle

Im Blütenkelch der Schwarzen Calla gefangene Fruchtfliegen © Johannes Stökl

Einen seit rund 40 Millionen Jahren andauernden Betrug haben jetzt Max-Planck-Wissenschaftler aufgeklärt. Arum palaestinum, ein im Nahen Osten vorkommendes Aronstabgewächs, lockt Fruchtfliegen als Bestäuber an, indem es exakt diejenigen Duftmoleküle aussendet, die durch Hefepilze auf faulenden Früchten und bei alkoholischer Gärung entstehen.

Dank eines neuartigen Messverfahrens, dem functional imaging, konnten die Forscher des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie den Weg der duftenden Moleküle von der Pflanze bis in das Gehirn der Insekten verfolgen. Sie fanden, dass die so genannte Schwarze Calla acht verschiedene Fruchtfliegenarten verführt und dass deren Sinneswahrnehmung und Verhalten beim Riechen von Hefegärung und Aronstabduft nahezu identisch waren.

Im Nervensystem der Tiere reagierten besonders deutlich zwei entwicklungsgeschichtlich ursprüngliche Geruchsrezeptoren. Diese Rezeptoren haben sich vermutlich im Laufe der Evolution auf die Wahrnehmung von Hefegeruch spezialisiert. Die Schwarze Calla missbraucht diesen Millionen Jahre alten Instinkt der Fliegen für ihre eigenen Zwecke, so die Forscher in der Fachzeitschrift „Current Biology“.

Fliegenfangende Pflanzen

Die Gattung Drosophila – als Frucht- oder Essigfliegen bezeichnet – ist artenreich und hat viele unterschiedliche Nahrungsquellen für sich erschlossen. Das Spektrum umfasst Früchte bis hin zu Bakterienrasen, die auf bestimmten tropischen Krabbenarten wachsen. Viele Drosophila-Arten nutzen Hefepilze als Hauptnahrungsmittel. Ihre Fühler und Riechkolben, bestehend aus so genannten Glomeruli, sind auf typische Duftmoleküle wachsender Hefepilze spezialisiert. Kleinste Molekülkonzentrationen in der Luft reichen aus, um die Fruchtfliegen auf die Nahrungsquelle hinzuweisen.

Viele Blütenpflanzen wiederum sind auf Insekten als Bestäuber angewiesen, um Nachkommenschaft und genetische Variabilität zu gewährleisten. Sie locken die Tiere beispielsweise mit farbigen Blütenblättern und Duftbouquets an. Hat der Bestäuber die Blüte erreicht, wird er mit Nektar dafür belohnt, dass er den Pollen auf eine andere Pflanze überträgt. Das Aronstabgewächs Arum palaestinum jedoch greift zu betrügerischen Mitteln.

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Die Pflanze produziert in ihren Blüten, die innenseitig violett-schwarz gefärbt sind, einen Geruch, der von Menschen mit dem von fruchtigem Wein verglichen wird. Mit diesem Duft, so stand zu vermuten, lockt die Schwarze Calla ihre Bestäuber an, nämlich Fruchtfliegen. Diese werden in der Blüte jedoch nicht mit Nektar belohnt, sondern im Gegenteil noch über Nacht in der Blüte gefangen gehalten und erst am nächsten Tag wieder freigelassen.

Die Schwarze Calla (Arum palaestinum), aufgenommen im Freiland. © Johannes Stökl / MPI chemische Ökologie

Auch Drosophila melanogaster lässt sich täuschen

Die Max-Planck-Forscher Johannes Stökl und Marcus Stensmyr haben nicht nur diesen Duft gesammelt und analysiert, sondern gleichzeitig die Fruchtfliegenarten, die sich im Kelch der Pflanzen verfangen, bestimmt und untersucht. Gemeinsam mit dem Verhaltensbiologen Markus Knaden haben sie dann die Reaktionen der Tiere auf die verschiedenen Duftmoleküle überprüft. Ihre beiden Kolleginnen Silke Sachse und Antonia Strutz wiederum führten neurophysiologische Experimente an den Fliegen durch.

Es stellte sich ein interessantes Ergebnis heraus: Arum palaestinum lockt im Durchschnitt rund 140 Fliegen je Pflanze an, die zu acht verschiedenen Drosophila-Arten gehören, inklusive der bekannten Spezies Drosophila melanogaster, an der als Modellorganismus in vielen Laboren geforscht wird und deren Genom vollständig bekannt ist. Im Duft der Pflanze konnten die Forscher 14 verschiedene chemische Verbindungen nachgeweisen, auf die die Antennen der Fliegen reagierten. Für diese Untersuchungen hat Stökl von den Antennen der Tiere Aktionspotenziale elektrisch abgeleitet und aufgezeichnet.

Esterverbindungen identifiziert

Die chemische Analyse der von der Pflanze abgegebenen Duftstoffe ergab, dass es sich vornehmlich um Esterverbindungen handelt. „Auffallend in diesem Bouquet aber waren zwei spezielle ‚Duftnoten‘, nämlich 2,3-Butandiolacetat und Acetoinacetat“, so Stensmyr. Diese Moleküle sind nämlich nicht in den Bouquets von blühenden Pflanzen enthalten und sind charakteristisch für Essig, insbesondere Aceto Balsamico, und Wein, also zwei durch Hefe erzeugte Gärungsprodukte. Diese beiden sowie vier weitere Verbindungen, die ebenfalls bei Hefegärung entstehen, zeigten außerdem im Elektroantennogramm die stabilsten und stärksten Signale.

Optical Imaging aktivierter Glomeruli von Drosophila melanogaster (Mitte). Das farbige Bild (rechts) zeigt die Stimulation bei Riechen des Calladuftes (rote Bereiche, Falschfarbendarstellung). Links: Fruchtfliege Drosophila melanogaster. © Antonia Strutz

Zwei Rezeptoren, ein Betrug

In neurophysiologischen Untersuchungen wurden Fruchtfliegen anschließend verschiedenen natürlichen Duftbouquets ausgesetzt, beispielsweise fauligen Pfirsichen oder Bananen sowie Lambrusco (Rotwein) und Aceto Balsamico (Essig). Die jeweiligen Elektroantennogramme glichen auffallend den Aufzeichnungen mit Fliegen, die dem Geruch der Schwarzen Calla ausgesetzt waren – fast identisch zum Calla-Duft verhielten sich Rotwein und Essig, also die gezielt durch Hefegärung gewonnenen Produkte.

„Die Fliegen können somit den Aronstab nicht von fauligen Früchten unterscheiden – sie werden also von der Pflanze betrogen, denn diese imitiert nur den Hefeduft, bietet aber noch nicht einmal Hefe als Nahrungsmittel an“, so Stökl. Für ihre unfreiwillige Hilfe als Bestäuber werden die Insekten also nicht einmal belohnt, sondern bleiben hungrig in der Blüte gefangen, bis sich diese nach 24 Stunden wieder öffnet.

„Hefe-Detektor“

Dank eines Calcium sensitiven Farbstoffes konnte Sachse zusammen mit Strutz die speziellen Hefe-Duftreize bis ins Gehirn der Fliegen verfolgen. Mit diesem als functional imaging bezeichneten Verfahren zeigten sie, dass elf verschiedene Duftrezeptoren reagierten. Weil es unterschiedliche Drosophila-Arten waren, die auf die Schwarze Calla hereinfielen, lag nahe, dass unter diesen Rezeptoren auch evolutionär frühe Exemplare dabei sein könnten, was tatsächlich der Fall ist.

„Die Sequenz zweier Duftrezeptoren, Or42b und Or92a, ist sehr konserviert – man kann sie daher durchaus als „Hefe-Detektor“ bezeichnen“, so Bill Hansson. Und dieses Ergebnis lässt befürchten, dass die Schwarze Calla ihren Betrug schon seit vielen Millionen Jahren betreibt.

(idw – Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, 08.10.2010 – DLO)

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