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Medizin

Aids-Vorläufer SIV Jahrtausende älter als gedacht

Überraschend hohes Alter und niedrige Mutationsrate werfen neue Fragen zum Ursprung von HIV auf

Mandrills sind Träger von SIV © Tulane University, Preston Marx

Der SI-Virus, der als Vorläufer des menschlichen Aids-Virus gilt, ist zwischen 32.000 und 75.000 Jahre alt und damit tausende von Jahren älter als bisher angenommen. Das zeigt eine jetzt in „Science“ erschienene Genanalyse infizierten „Bushmeats“ von der afrikanischen Insel Bioko. Sie wirft auch die Frage auf, warum die Aids-Epidemie erst im 20. Jahrhundert ausbrach, obwohl der Mensch bereits seit Jahrtausenden mit SIV-infizierten Affen in Kontakt gewesen sein muss.

Das Simian Immunodeficiency Virus, kurz SIV, ist die beim Affen auftretende Form von HIV und gilt vielfach als der evolutionäre Vorfahre des Aidsvirus beim Menschen. Im Gegensatz zur humanen Virenvariante verursacht SIV bei infizierten Tieren jedoch kein Aids, sondern verläuft gutartig. Im Laufe der Evolution haben sich Affenvirus und Wirt zu einem Gleichgewicht entwickelt, weil der Erreger vom Überleben des Affen mehr profitiert als von dessen Tod. Wie lange diese Abmilderung dauerte, war bisher unklar, da das Alter des SIV nicht genau bestimmt werden konnte. Eine vor kurzem veröffentlichte Studie auf Basis eines DNA-Vergleichs ermittelte ein Alter von nur wenigen hundert Jahren, blieb aber umstritten.

„Bushmeat“ von isolierter Insel

Jetzt haben amerikanische Forscher unter Leitung des Virologen Preston Marx vom Tulane National Primate Research Center neue Daten geliefert, die dieser früheren Studie vollkommen widersprechen und ein völlig neues Bild der Evolution der Aidsviren liefern. Die Wissenschaftler analysierten dafür DNA-Proben des Virus aus einer Affenpopulation auf der Insel Bioko. Vor mehr als 10.000 Jahren noch eine Halbinsel, ist Bioko und die auf ihr lebende Fauna seither vom afrikanischen Festland isoliert. Für die DNA-Analyse sammelten die Forscher Proben von SIV-infiziertem „Bushmeat“, dem Fleisch der auf Bioko beheimateten Mandrillart Mandrillus leucophaeus. Darin fanden sich vier Stämme von SIV, die sich jedoch alle hochgradig von den auf dem Festland vorkommenden SIV-Stämmen unterschieden.

Analyse einer Bushmeat-Probe © Science/AAAS

SIV mindestens 32.000 Jahre alt

Ein Vergleich der Insel- und Festlandssequenzen und die Rekonstruktion der Mutationsraten zeigt, dass Mutationen bei SIV offenbar sehr viel langsamer und seltener vorkommen als bisher angenommen. Die Berechnungen mit Hilfe eines Computermodells deuteten auf ein Alter des SIV-Virus von mindestens 32.000 bis 75.000 Jahren hin. Möglicherweise ist SIV sogar schon vor mehr als einer Million Jahren entstanden.

HIV: Keine Abnahme der Virulenz in Sicht

Diese Ergebnisse werfen auch auf die Evolution des menschlichen HI-Virus ein ganz neues Licht. Denn wenn SIV tausende von Jahren Zeit hatte, um sich zu seiner jetzigen milden Form zu entwickeln, dann könnte auch bei HIV dieser natürliche Prozess länger dauern als bisher erhofft. „Wenn SIV erst vor kurzem entstand, wie bisher angenommen, dann hat es seine Virulenz innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums verloren“, erklärt Michael Worobey von der Universität von Arizona. „Aber unsere Ergebnisse zeigen das Gegenteil. Wenn auch HIV eine niedrigere Virulenz entwickeln sollte, dann wird dies wahrscheinlich nicht sehr bald passieren.“

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Insel Bioko - seit 10.000 Jahren vom Festland getrennt © Science/AAAS

Auslöser der HIV-Epidemie wieder rätselhaft

Die Studie weckt auch erneut Fragen zum Ursprung von HIV. Bisher vermuten Forscher, dass der menschliche Aidsvirus vom SIV abstammt. Doch wenn die Menschheit schon seit tausenden von Jahren mit SIV-infizierten Affen in Kontakt war, warum begann dann die Aids-Epidemie erst im 20. Jahrhundert? „Es ist wie der Fund eines fossilen Stücks Virenevolution, so Worobey. „Wir haben diese kleine Insel, die uns Hinweise zu SIV gibt und sagt: ‚Es ist alt‘. Jetzt wissen wir damit, dass auch die Menschen fast mit Sicherheit auch schon seit sehr langer Zeit dem SIV ausgesetzt waren, vielleicht sogar schon hunderttausende von Jahren.“

Eine so lange Exposition müsste normalerweise dazu führen, dass entweder der Mensch eine gewisse Immunität gegenüber dem Virus entwickelt, oder aber, dass die menschliche Form des Virus sich allmählich abmildert, um nicht alle seine Wirte zu töten, bevor sie den Erreger weitergeben kann. „Irgendetwas muss im 20. Jahrhundert geschehen sein, um diesen relativ gutartigen Affenvirus in etwas zu verwandeln, das sehr viel potenter war und die Epidemie auslösen konnte”, erklärt Marx. „Wir wissen nicht, was dieser Auslöser war, aber es muss einen gegeben haben.“

(University of Arizona / Science, 17.09.2010 – NPO)

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