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Biologie

Adulte Stammzellen: Von der Evolution vergessen?

„Alleskönner“ möglicherweise Überreste vergangener evolutionärer Vorstufen

Die obere Abbildung zeigt in der Bildmitte das Produkt der Fusion einer multipotenten, adulten Stammzelle, die durch die Expression eines grün fluoreszierenden Proteins markiert ist, mit einer Herzmuskelzelle (rot gefärbt). Daneben sind nicht fusionierte Stamm- und Herzmuskelzellen zu sehen. Untere Abbildung: Die Kombination von Phasenkontrast- und Fluoreszenzmikroskopie zeigt die Expression des grünen Stammzellmarkers im Zellkern einer Hybrid-Herzmuskelzelle. Daneben sind mehrere nicht fusionierte Zellen zu sehen. © MPI für Herz- und Lungenforschung

Adulte Stammzellen stehen seit einiger Zeit im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Es geht dabei nicht nur um eine mögliche Nutzung in der Medizin oder der Biotechnologie, die Forscher wollen auch wissen, was die eigentliche Aufgabe adulter Stammzellen sein könnte. Nicht zuletzt, seit in immer mehr Organen wie Leber, Gehirn und Muskulatur undifferenzierte Zellen mit für Stammzellen typischen Eigenschaften gefunden wurden, nimmt man an, dass diese Zellen an Reparaturprozessen in den Organen beteiligt sind. Max-Planck-Wisssenschaftler haben jetzt in einer neuen Studie gezeigt, dass zumindest ein Teil der adulten Stammzellen lediglich Überbleibsel vorangegangener embryonaler Differenzierungsprozesse oder auch Fußspuren der Evolution sein könnten.

Als Basis für ihre Forschungsarbeit dienten den Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim zwei Zelllinien aus so genannten mesenchymalen Stammzellen (adulte Stammzellen, die in Organen, im Knochenmark, oder in der Nabelschnur zu finden sind), die zuvor aus dem Knochenmark von Mäusen isoliert worden waren. Die Besonderheit an dem dabei verwendeten Verfahren war, auf die Zugabe von Wachstumsfaktoren zum Kulturmedium zu verzichten, um zu verhindern, dass sich die Zellen vorzeitig differenzieren. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass sich die beiden Zelllinien in der Expression typischer Stammzell-Marker unterscheiden. Das lässt vermuten, dass mesenchymale Stammzellen eine heterogene Gruppe verschiedener Zellen mit ähnlichen Charakteristiken sind.

Wie erhofft, gelang es den Forschern dann, mithilfe von bestimmten Substanzen, diese Stammzelllinien dazu zu bringen, für Muskelzellen charakteristische Proteine zu exprimieren. Interessanterweise schlugen die Zellen einen Entwicklungsweg in Richtung Herzmuskelzellen ein, wenn ein besonderer Pfad, der so genannte wnt-Signalweg, stimuliert wurde. Im Gegensatz dazu ließen sich auf den Zellen bestimmte Eigenschaften von Skelettmuskelzellen nachweisen, wenn sie zuvor mit einem CDO genannten Protein stimuliert wurden.

Differenzierungsprozess unvollendet

Zwar waren bei beiden Ansätzen eine Reihe muskelspezifischer Gene in den Zellen aktiviert, was auf den Beginn eines Differenzierungsprozesses hinwies. Doch dieser blieb offenbar auf halbem Weg stehen. So zeigte sich beispielsweise nach Aktivierung des wnt-Signalwegs kein typisches Streifenmuster, was auf eine unvollständige Entwicklung des kontraktilen Apparats hinweist.

Auch war die Expression von Marker-Genen für Kardiomyozyten, wie dem „Alpha-Myosin-Heavy-Chain“-Protein, lediglich nach einer weiteren so genannten epigenetischen Reprogrammierung (eine vererbbare Modifikation der DNA ohne Veränderung der Basensequenz, z.B. die Methylierung einer Base) nachweisbar. Bei diesem Vorgang werden Teile der epigenetischen Festlegung einer Zelle gleichsam neu formatiert und stehen so externen Signalen für eine erneute Programmierung wieder zur Verfügung.

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Stamm- und Muskelzellen fusionieren

Bei der Differenzierung in Richtung Skelettmuskulatur wurden zwar ebenfalls charakteristische Eigenschaften sichtbar, doch es kam nie zur Ausbildung von echten, mehrkernigen Skelettmuskelzellen. Hingegen waren immerhin Fusionen zwischen den mesenchymalen Stammzellen und Skelettmuskelzellen zu beobachten.

Für ihre Forschungsergebnisse, über die sie in der Fachzeitschrift „Molecular and Cellular Biology“ berichten, haben die Max-Planck-Forscher zwei Erklärungen: Zum einen könnte in diesen Stammzellen ein Faktor fehlen, der für die vollständige Differenzierung in spezialisierte Zellen bzw. Gewebe unbedingt nötig ist.

Zum anderen aber könnte zumindest für einige der bekannten adulten Stammzelltypen in Zukunft gelten, dass sie „nur“ Rudimente aus früheren embryonalen Differenzierungsprozessen oder gar versprengte Überreste vergangener evolutionären Vorstufen sind. Zwar zeigen diese Zellen heute noch eine für Stammzellen charakteristische Plastizität, doch lässt sich daraus keine direkte physiologische Funktion ableiten.

(idw – MPG, 03.11.2005 – DLO)

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