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Archäologie

Neandertaler jagte größtes Landsäugetier der Eiszeit

125.000 Jahre alte Schnittspuren liefern ältesten Beleg für Jagd auf Waldelefanten

Europäischer Waldelefant
Der Europäische Waldelefant war das größte Landsäugetier der Eiszeit. Doch der Neandertaler jagte und schlachtete sogar diese Kolosse. © Apotea/ /CC-by-sa 3.0

Frühe Großwildjagd: Schon vor 125.000 Jahren wagten sich die Neandertaler im Gebiet des heutigen Deutschlands an das größte Landsäugetier der Eiszeit – den Europäischen Waldelefanten. Schnittspuren an Knochen dieses Tieres belegen, dass die Eiszeitmenschen diese Giganten in Gruppen gejagt, sie erlegt und systematisch und effizient geschlachtet haben müssen. Sie sind der älteste Beleg für die Elefantenjagd durch eine Menschenart und ein weiteres Zeugnis dafür, dass die Neandertaler technisch und sozial fortgeschrittener waren als lange gedacht.

Dass Neandertaler während des Eiszeitalters selbst größere Tiere jagten und verzehrten, ist schon länger bekannt: Funde von Jagdspeeren, Isotopenanalysen ihrer Knochen und Zähne sowie Verletzungsspuren an den Knochen von großen Pflanzenfressern wie Hirschen und Mammuts legen nahe, dass die Neandertaler durchaus in der Lage waren, selbst wehrhafte und große Beute zu erlegen. Die prähistorischen Jäger arbeiteten dabei eng zusammen und wagten sich sogar so nahe heran, dass sie die Beute mit Speerstößen töten konnten.

Palaeoloxodon antiquus
Größenvergleich eines Menschen mit der Rekonstruktion eines adulten Europäischen Waldelefanten-Bullen (Palaeoloxodon antiquus). © Lutz Kindler/ LEIZA

Tote Eiszeitriesen in einer Braunkohlegrube

Jetzt enthüllen neue Untersuchungen, dass die Neandertaler sogar das größte Landsäugetier des Eiszeitalters jagten und erlegten – den Europäischen Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus). Dieses ausgestorbene Rüsseltier lebte bis vor 100.000 Jahren in den Landschaften Europas und Westasiens. Mit einer Schulterhöhe von bis zu vier Metern und einem Gewicht bis zu 13 Tonnen war es größer als heutige Elefanten und auch als das eiszeitliche Wollhaarmammut – und sehr wehrhaft: Typisch für diese Elefantenart waren die langen, geraden Stoßzähne.

Auffallend viele fossile Relikte dieser Eiszeit-Elefanten wurden schon in den 1980er und 90er Jahren in der Braunkohlegrube Neumark-Nord bei Halle entdeckt. In den feinkörnigen Sedimenten waren die 135.000 Jahre alten Überreste von mindestens 70 dieser Waldelefanten konserviert. Merkwürdig jedoch: Anders als bei fossilen Zeugnissen urzeitlicher Naturkatastrophen waren unter den Skeletten fast nur erwachsene Tiere und noch dazu vorwiegend die großen Männchen vertreten. „Ein solches Sterblichkeitsprofil wurde bisher bei keiner fossilen oder rezenten Elefantenpopulation gefunden“, erklären Sabine Gaudzinski-Windheuser vom Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz (LEIZA).

Schnittspuren an fast allen Knochen

Auf der Suche nach einer Erklärung für diese ungewöhnliche Ansammlung von toten Eiszeit-Elefanten haben Gaudzinski-Windheuser und ihre Kollegen die fossilen Knochen nun näher untersucht. Besonderes Augenmerk legten sie dabei auf mögliche Spuren von Schnitten, Verletzungen und andere Indizien für eine menschliche Bearbeitung oder aber Raubtierfraß. „Insgesamt haben wir auf diese Weise 3.122 Überreste von den Europäischen Waldelefanten in Neumark-Nord analysiert“, berichtet Koautor Lutz Kindler vom LEIZA.

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Das Ergebnis: „Alle untersuchten Knochen-Ensembles zeigten Spuren menschlicher Bearbeitung“, berichten die Forschenden. An fast allen Skelettteilen waren Schnittspuren zu erkennen, wie sie beim Ablösen von Haut, Sehnen und Muskeln von den Knochen entstehen, aber auch beim Abtrennen von Gliedmaßen oder dem Kopf. „Die Schnittspuren treten bei verschiedenen Tieren wiederholt an den gleichen Stellen der Knochen auf“, schreiben Gaudzinski-Windheuser und ihre Kollegen. „Das deutet darauf hin, dass das Entbeinen dieser Tiere einem standardisierten Prozedere folgte.“

Schnittspuren
Schnittspuren am Fersenbein eines Waldelefantebullen. Der Schnitt in der Mitte hat eine Länge von etwa vier Zentimetern. © Wil Roebroeks/ Universität Leiden

Klare Indizien für eine Großwildjagd

Damit ist klar, dass die Neandertaler Fleisch und anderes Material der riesigen Waldelefanten effizient verwerteten. Doch haben sie diese Tiere auch selbst getötet? Nach Ansicht der Archäologen ist dies der Fall. Aus der Lage der Schnittspuren und der Tatsache, dass auch der Schädel geöffnet wurde, um das Hirn zu entnehmen, schließen sie, dass die Elefanten direkt nach deren Tod geschlachtet worden sein müssen. „Wir sehen hier keine Ausbeutung schon länger herumliegender Kadaver“, so das Team.

Für eine gezielte Jagd spricht zudem die Häufung großer, ausgewachsener Elefantenbullen unter den Fossilien – bei einem natürlichen Tod oder einer Naturkatastrophe wären Altersspanne und Geschlechter gleichmäßiger verteilt. Für eine Jagd hingegen waren die Elefantenbullen ein gutes Ziel: Anders als Weibchen und Jungtiere lebten sie nicht in einer Herde, sondern waren meist Einzelgänger – was das Umzingeln und Jagen erleichterte. Zudem waren die Bullen meist deutlich größer als die Weibchen und boten somit mehr Beute für den gleichen Aufwand.

Effiziente Kooperation in größeren Gruppen

Die Funde aus Neumark-Nord belegen damit, dass die Neandertaler schon vor 125.000 Jahren selbst die riesigen Waldelefanten jagten und schlachteten. „Dies ist der erste eindeutige Beweis für die Elefantenjagd in der menschlichen Evolution“, sagt Koautor Wil Roebroeks von der Universität Leiden. Diese Erkenntnis wirft auch ein neues Licht auf die Fähigkeiten der Neandertaler zur Kooperation und auf ihre Sozialstruktur. Denn sowohl die Jagd als auch das Schlachten und Verwerten des Fleischs erforderten die enge Zusammenarbeit in einer größeren Gruppe.

„Wir gehen davon aus, dass die Neandertaler bei einem adulten Waldelefanten rund drei bis fünf Tage für das Enthäuten, das Ablösen des Fleischs von den Knochen und das Haltbarmachen durch Trocknen oder Räuchern brauchten, wenn rund 25 Personen dabei zusammenarbeiteten“, schreiben Gaudzinski-Windheuser und ihre Kollegen. Bisher waren einige Wissenschaftler aber davon ausgegangen, dass die Neandertaler damals in deutlich kleineren Familiengruppen zusammenlebten.

Die Funde von Neumark-Nord belegen nun jedoch, dass auch die vermeintlich primitiven Neandertaler schon intelligent genug waren, um auch in größeren Verbänden effizient zusammenzuarbeiten. Sie beherrschten nicht nur die gefährliche gemeinsame Jagd auf wehrhafte Riesen wie die Europäischen Waldelefanten, sondern verfügten auch über das Wissen, diese Beute fachgerecht und standardisiert zu zerlegen und das Fleisch zu verwerten. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.add8186)

Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)

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