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Archäologie

Ältester Beleg für Pfeil und Bogen in Europa

54.000 Jahre alte Pfeilspitzen stammen von den ersten Homo-sapiens-Einwanderern

Pfeilspitze
Diese kleine Steinspitze ist rund 54.000 Jahre alt. Sie ist der älteste Beleg für die Nutzung von Pfeil und Bogen in Europa. © Philippe Psaila

Schießen statt Werfen: Schon vor rund 54.000 Jahren könnten erste Vertreter des Homo sapiens eine überlegene Waffentechnik nach Europa gebracht haben – Pfeil und Bogen. Belege dafür liefern auffallend kleine Steinspitzen aus der Grotte Mandrin in Südfrankreich. Ihre Machart, Größe und Gebrauchsspuren legen nahe, dass sie einst auf Pfeilen montiert und zur Jagd verwendet wurden. Der Homo sapiens könnte demnach schon bei seinen ersten, noch vorübergehenden Vorstößen nach Europa Pfeil und Bogen genutzt haben.

Schon vor 300.000 Jahren nutzte der Homo heidelbergensis hölzerne Wurfstöcke zur Jagd, später fertigten die Neandertaler komplexere Werkzeuge aus Knochen, Holz und Stein, die sie teilweise mit Kleber an Griffen festleimten. Durch spezielle Schleudern verhalfen sie ihren Speeren zudem zu mehr Reichweite und Durchschlagskraft. Doch erst der Homo sapiens vollzog einen weiteren Entwicklungssprung in der Werkzeugtechnik: Er erfand Pfeil und Bogen.

Diese Waffen verliehen unseren Vorfahren bei der Jagd eine größere Reichweite und mehr Durchschlagskraft. Bisher gingen Archäologen davon aus, dass sich diese Technik in Afrika schon vor rund 70.000 Jahren entwickelt haben könnte. Mit der Ausbreitung des Homo sapiens in Europa vor rund 42.000 bis 45.000 Jahren etablierte sie sich dann auch bei uns. Eindeutige archäologische Belege dafür fehlten aber bisher.

Steinspitzen
Mikro-Steinspitzen (oben) größere Speerspitzen aus der Grotte Mandrin. © Laure Metz und Ludovic Slimak

Spuren der ersten Homo-sapiens-Einwanderer

Doch archäologische Funde in Südfrankreich zeichnen nun ein anderes Bild. Nach diesem könnte die erste Nutzung von Pfeil und Bogen in Europa sogar noch weiter in der Vergangenheit liegen. Belege dafür entdeckte ein Team um Laure Metz von der Universität Aix-Marseille in Form von steinernen Pfeilspitzen aus der Grotte Mandrin, einem Felsunterstand über dem Rhone-Tal im Südfrankreich. Werkzeug- und Knochenfunde belegen, dass dieser Ort schon bei den Neandertalern ein beliebter Lagerplatz war.

2022 entdeckten Forscher dort auch Zähne und Knochen des Homo sapiens, die rund 51.700 bis 56.800 Jahre alt waren. Sie stammen demnach aus der Zeit, als sich unsere Vorfahren noch nicht dauerhaft in Europa halten konnten. Zwar wanderten immer wieder kleinere Gruppen ein, sie konnten aber keine dauerhafte Population gründen und hinterließen daher auch keine genetischen Spuren in unserem Genom. Auch in Mandrin folgte auf die erste frühe Homo-sapiens-Episode zunächst eine weitere Neandertaler-Besiedlung.

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Steinspitzen müssen von Pfeilen stammen

Metz und ihre Kollegen haben nun mehr als 850 Steinspitzen untersucht, die aus der gleichen Fundschicht wie die Homo-sapiens-Fossilien in Mandrin stammen. Rund 40 Prozent dieser Spitzen zeigte Spuren, die auf eine Befestigung am Ende eines Schafts hindeuteten. Gleichzeitig waren diese Steinspitzen auffallend klein: unter drei Zentimeter lang und am hinteren Ende weniger als zehn Millimeter dick. „Dieser Durchmesser repräsentiert eine wichtige Grenze“, erklären die Forschenden. Denn so dünne Spitzen können gängiger Annahme nach nur als Pfeilspitzen genutzt werden.

Pfeile
Die Archäologen haben nachgebaute steinerne Pfeilspitzen auf Pfeilschäften montiert, um deren Flugeigenschaften und Aufprallspuren zu untersuchen. © Ludovic Slimak

Der Grund: Wenn Spitzen nicht seitlich an einem Stock montiert sind, sondern direkt am Ende als Verlängerung des Schafts, dann darf der Schaft nicht dicker sein als das Hinterende der Spitze. „Experimente zeigen, dass ein Projektil mit dünnerem Durchmesser als sein Schaft nicht effektiv in sein Ziel eindringen kann“, erklären Metz und ihre Kollegen. Andererseits wäre ein Speer oder eine andere Stoßwaffe mit einem weniger als einen Zentimeter dicken Schaft nicht stabil und schwer genug, um eine Beute zu töten.

Um ihren Zweck zu erfüllen, müssen die kleinen Steinspitzen aus Mandrin demnach auf Pfeilen montiert worden sein. Weitere Indizien dafür lieferten charakteristische Aufprallspuren bei einigen dieser Mikrospitzen. Vergleiche ihrer Proportionen mit Pfeilspitzen heutiger Naturvölker ergaben zudem ebenfalls auffallende Übereinstimmungen.

Einwanderer mit überlegener Technik

Nach Ansicht von Metz und ihrem Team lässt dies nur einen Schluss zu: Schon vor rund 54.000 Jahren lebten in Mandrin Vertreter des Homo sapiens, die mit Pfeil und Bogen jagten. „Dies belegt, dass schon dieser früheste Vorstoß des modernen Menschen in Neandertalergebiet mit der Nutzung dieser Waffentechnik verknüpft war“, erklären die Forschenden. „Unsere Funde zeigen auch, dass die Neandertaler diese Technik damals nicht beherrschten.“

Denn als diese erste Homo-sapiens-Gruppe wieder verschwand, hinterließen die Neandertaler in Mandrin eine weitere Fundschicht, in der jede Spur solcher fortschrittlicher Steinspitzen und Waffen fehlte. Warum sich die frühen Einwanderer unserer Spezies damals trotzdem noch nicht gegen die Neandertaler durchsetzen konnten, ist jedoch noch unklar. Erst rund 10.000 Jahre später gelang es dem Homo sapiens, dauerhaft in Europa Fuß zu fassen und schließlich den Neandertaler zu verdrängen. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.add4675)

Quelle: Science Advances

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