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Technik

Zwischen Einschlag und Einsturz

Die Rekonstruktion der Ereignisse in den Türmen

Was sich tatsächlich in der kurzen Zeitspanne zwischen Einschlag und Einsturz im Inneren der beiden Türme abgespielt hat, wird möglicherweise niemals mit hundertprozentiger Genauigkeit aufgeklärt werden. Sicher ist nur, dass es dabei Unterschiede zwischen beiden Gebäuden gab, wie auch die Experten der Untersuchungskommission der FEMA berichten: „Der Kollaps dieser symbolträchtigen Gebäude umfasst eine komplexe Serie von Ereignissen, die für jeden Turm unterschiedlich war.“ Sicher scheint aber auch, dass in beiden Fällen sowohl strukturelle Schäden durch den Einschlag der Flugzeuge, als auch die Hitze der Brände entscheidende Auslöser waren.

Hier ein Versuch der Rekonstruktion, der sich auf Berichte der NIST, der FEMA, sowie der Northwestern Universität stützt.

Rekonstruktion des Flugzeugeinschlags im Nordturm © NIST

Der Nordturm

08:45 Uhr Ortszeit: Die mit 92 Passagieren und Besatzungsmitgliedern besetzte Boeing 767 der American Airlines rast mit einer Geschwindigkeit von rund 690 bis 790 Kilometern pro Stunde in den Nordturm des World Trade Centers. Sie bohrt sich zwischen dem 96. und 103.Stockwerk gerade in die Fassade des Gebäudes und durchtrennt die Stahlträger des Außenskeletts auf einer Breite von 50 Metern.

Im Inneren des Turms zerstört das Flugzeug wahrscheinlich auf Höhe dreier Stockwerke alle Geschosse auf der Einschlagsseite und einen Großteil des inneren Trägerkerns. Die Feuerschutzverkleidung der verbleibenden Innenträger ist teilweise vernichtet oder zumindest beschädigt. Gleichzeitig strömt brennendes Kerosin aus. Zu diesem Zeitpunkt gleicht der Turm einem Sandwich mit weicher Füllung: Die Etagen vom Boden bis unterhalb der unmittelbaren Einschlagsstelle sowie die Turmspitze bleiben zunächst nahezu unbeschädigt und stabil, auch die Temperatur in den Innenräumen ist noch normal. Der mittlere Bereich jedoch gibt immer weiter nach.

In einem Experiment rekonstruierten NIST-Forscher die Brände © NIST

Das Feuer weicht zuerst die Stahlträger der Innenkonstruktion auf, die Decken hängen immer stärker durch. Der Innenbereich der Gebäudespitze wird nur noch durch die extrem stabilen Querstreben auf dem Dach des Wolkenkratzers gehalten. Die Säulen der Außenhülle sind dadurch gleich doppelt belastet: Sie tragen das gesamte Gewicht der oberen Geschosse fast alleine und müssen zusätzlich den enormen Zug der durchhängenden Zwischendecken nach innen aushalten. Auf der Südseite des Turms wird der Druck schließlich zu stark: Die Säulen biegen sich, brechen und die gesamte Südseite gibt nach. Die Turmspitze kippt nach Süden weg und initiiert so den Kollaps.

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Um 10:28 Uhr Ortszeit, weniger als zwei Stunden nach dem Einschlag des Flugzeugs, ist der gesamte mehr als 400 Meter hohe Nordturm komplett in sich zusammengefallen.

Der Südturm

09:03 Uhr Ortszeit: Gut eine Viertelstunde nach dem Einschlag im Nordturm rast eine weitere Boeing 767, diesmal von der United Airlines, mit 65 Menschen an Bord und einer Geschwindigkeit von sogar 860 bis 940 Kilometern pro Stunde vom Meer aus auf den Südturm zu und schlägt ein. Die Maschine trifft nahe der Kante des Turms auf und dringt in Schräglage auf Höhe des 73. bis 77. Stockwerks in das Gebäude ein.

Rekonstruktion des Flugzeugeinschlags im Südturm © NIST

Der diagonale Einschlag zerstört einen Großteil der Außen- und Innenträger in der Südostecke des Turms, darunter auch die für die Statik besonders wichtigen Eckpfeiler. Auf den wenigen in diesem Bereich verbleibenden Stahlsäulen lastet das gesamte Gewicht der etwa 35 darüber liegenden Etagen. Die Zwischendecken über mindestens vier bis sechs Stockwerke brechen ein. Die Innenträger, die nicht sofort zerstört wurden, sind beschädigt und verlieren nahezu alle ihren Feuerschutzüberzug.

Gleichzeitig verteilt sich das brennende Kerosin der vollen Flügeltanks innerhalb von Sekunden über mehrere Etagen. Auch hier geben die Innenträger, vom Feuer weich geworden, dem Druck als erstes nach und die Geschossböden verlieren ihren Halt. Die Außenträger in der Ostwand, inzwischen ebenfalls von der Hitze geschwächt, halten dieser zusätzlichen Belastung nicht stand und knicken ein. Als Folge kollabiert schließlich die Südostecke und der gesamte, zunächst noch intakte obere Turmteil sackt nach unten und zur Seite weg. Der Aufprall der Turmspitze zermalmt die tiefer liegenden Etagen und der Turm fällt rasend schnell in sich zusammen.

Um 09:59 Ortszeit, weniger als eine Stunde nach Einschlag des Flugzeugs, ist der Südturm kollabiert. Die nahezu vollständige Zerstörung des Gebäudekerns durch das Flugzeug und die besonders starken Brände haben sein Ende so weit beschleunigt, dass er obwohl er später getroffen wurde, eine halbe Stunde früher einstürzt als der benachbarte Nordturm.

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Nadja Podbregar
Stand: 07.09.2011

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers


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11. September 2001 - Ende eines Menschheitstraums?

Ein Kollaps mit Fragezeichen
Rätselraten um die Einsturzursachen

Stahlskelett mit weichem Kern
Die Konstruktion der Türme

Feuer, Stahl und Zwischendecken
Was war die Hauptursache des Einsturzes?

Zwischen Einschlag und Einsturz
Die Rekonstruktion der Ereignisse in den Türmen

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