Anzeige
Physik

Wie es weitergeht

Was kommt nach Higgs und LHC?

Die Entdeckung des Higgs-Bosons war ein Meilenstein der Physik und ein großer Erfolg. Aber seither sind weitere große Entdeckungen in der Teilchenphysik ausgeblieben und viele große Fragen blieben ungeklärt. Die erhoffte Schwemme neuer Teilchen und Durchbrüche, die sich Physiker vor allem von der zweiten Laufzeit des LHC und der Erkundung des Higgs-Bosons erhofft hatten, lässt auf sich warten.

CMS
Seit der Entdeckung des Higgs-Bosons haben der LHC und seine Detektoren, hier das CMS, keine großen Durchbrüche mehr erbracht. © CERN/ Maximilien Brice

„Einige Leute laufen mit gesenktem Kopf herum, sind enttäuscht oder sogar deprimiert und beklagen sich, dass wir ’nur das Higgs entdeckt haben und nichts sonst'“, schilderte Nima Arkani-Hamed vom Institute for Advanced Study in Princeton kürzlich im „CERN Courier“ die Stimmung.

Rätselraten bei Gravitation und Antimaterie

Tatsächlich gäbe es noch reichlich offene Fragen, die die Physik zu klären hat. Denn auch wenn das Higgs-Boson einige Unklarheiten im Standardmodell beseitigt hat, klaffen in ihm noch immer große Lücken. So haben Physiker noch immer keine echte Erklärung dafür, wie die vierte Grundkraft, die Gravitation, mit dem Rest der Grundkräfte zusammenhängt – an dieser Frage versuchte sich schon Albert Einstein vergeblich. Auch ob die Gravitation analog zu den anderen Grundkräften ein Trägerteilchen besitzt, ist offen.

Ebenfalls ungeklärt ist, warum unser Universum nicht schon direkt nach dem Urknall wieder selbst kollabiert ist. Denn eigentlich müssten damals gleich große Mengen an Materie und Antimaterie entstanden sein, die sich gegenseitig ausgelöscht hätten. Doch die große Annihilation blieb offensichtlich aus – sonst gäbe es uns nicht. Wissenschaftler vermuten daher, dass es irgendeinen subtilen Unterschied in den Merkmalen oder dem Verhalten von Teilchen und ihren Antimaterie-Gegenparts gegeben haben muss. Doch bisher sucht man danach vergebens.

Der dunkle Sektor

Dazu kommt, dass fast 95 Prozent unseres Universums buchstäblich im Dunkeln liegen: Sie werden von Dunkler Materie und Dunkler Energie dominiert – zwei Einflussfaktoren, deren Natur noch immer völlig unbekannt ist. Die Dunkle Energie ist die Triebkraft für die Ausdehnung unseres Universums. Wie sie dies jedoch bewerkstelligt und warum sich die kosmische Expansion beschleunigt, gibt Astronomen und Physikern noch immer Rätsel auf.

Anzeige
Kosmosanteile
Der gesamte „dunkle“ Anteil des Universums kommt im Standardmodell nicht vor. © NASA

Fast ebenso geheimnisvoll, wenn auch ein wenig besser untersucht, ist die Dunkle Materie. Von ihr wissen wir, dass sie fast überall im Kosmos vorhanden sein muss – im intergalaktischen Raum ebenso wie im Halo der Milchstraße oder sogar in unserem Sonnensystem. Ihre Präsenz prägt die Form und Bewegung von Galaxienhaufen und Galaxien. Doch weil die Dunkle Materie fast nur über die Schwerkraft mit normaler Materie wechselwirkt, ist auch ihre Natur ungeklärt. Aus was für Teilchen die Dunkle Materie besteht – und ob möglicherweise ein Boson wie das Higgs dahinter stecken könnte, ist noch offen.

Wo stecken die alle?

Ebenso offen sind noch immer einige fundamentale Fragen zum Verhalten und den Eigenschaften im Bereich der Teilchenphysik: Eine betrifft die Theorie der Supersymmetrie, nach der es für jedes bekannte Teilchen einen noch unerkannten, schwereren Partner geben soll. Eigentlich hatten sich die Verfechter dieser Theorie schon von den ersten Laufzeiten des LHC eine Schwemme solcher SUSY-Teilchen erhofft – doch in den Daten findet sich bisher von diesen hypothetischen Partikeln keine Spur.

Bei den Neutrinos versuchen Physiker noch immer zu klären, ob es eine vierte, sterile Form dieser „Geisterteilchen“ gibt. Und auch die Zusammenfassung der elektromagnetischen und schwachen Grundkraft zur elektroschwachen Wechselwirkung birgt noch einige ungelöste Diskrepanzen. Gerade in diesem Bereich erhofft man sich auch vom Higgs-Boson und seinen Zerfällen mehr Aufklärung.

Was kommt als nächstes?

All diese Phänomene könnten auf noch unerkannte Prozesse und Teilchen zurückgehen – auf „neue Physik“. Bisher jedoch hat sich diese erfolgreich vor den Augen der Physikergemeinschaft verborgen. Zwar haben Physiker am LHC und in anderen Teilchenbeschleunigern einige verräterische Abweichungen entdeckt, unter anderem beim magnetischen Moment des Myons oder bei Zerfällen des B-Mesons. Antworten auf die großen Fragen blieben jedoch bisher aus.

Zumindest einige Antworten erhofft man sich nun von der im Sommer 2022 beginnenden dritten Laufzeit des LHC am CERN. Denn ihre noch leistungsstärkeren, häufigeren Kollisionen könnten zumindest die schon in Andeutungen festgestellten Anomalien erhärten und klären helfen. Viele der noch ungeklärten Phänomene erfordern allerdings mehr Energie und andere Methoden als die maximal 13,4 Teraelektronenvolt, die der LHC bei Protonenkollisionen erzeugen kann.

FCC
Der geplante Future Circular Collider (FCC) soll Kollisionen mit bis zu 100 Teraelektronenvolt Energie ermöglichen. © CERN

Nach dem LHC

Deshalb sind bereits einige Nachfolge-Projekte in der Diskussion, die noch stärkere und größere Teilchenbeschleuniger umfassen. Am CERN geht es im „Physics Beyond Colliders“-Programm darum, wie die vorhandenen Beschleunigerringe, weiter genutzt werden sollen. Gleichzeitig plant man für die Zeit nach 2040 bereits einen 100 Kilometer großen Beschleunigerring. In diesem „Future Circular Collider“ (FCC) sollen zunächst Elektronen und Positronen kollidieren und als „Higgs-Fabrik“ dienen. Sie kollidieren zwar mit geringerer Energie, erzeugen aber weniger Stör-Teilchen, was die Analyse der Higgs-Produkte einfacher macht.

Später sollen im FCC dann Protonen-Kollisionen mit Energien von bis zu 100 Teraelektronenvolt stattfinden. Auch China plant mit dem CEPC eine Higgs-Fabrik in Form eines ähnlich großen Ringbeschleunigers für Elektronen und Positronen. In Japan war ein Linearbeschleuniger in der Diskussion, ob die Regierung die Finanzierung mitträgt, ist aber unklar. Parallel zu den großen – und teuren – Anlagen setzen einige Physiker ihre Hoffnung aber auch auf neuartige Mini-Beschleuniger, die Elektronen mithilfe von Plasmalasern auf Touren bringen. Deren Energien sind zwar eher gering, dafür sind sie aber günstig, überall einsetzbar und könnten gezielt spezielle Unteraspekte erforschen.

„Es ist zu früh zu sagen, welche dieser Projekte umgesetzt werden und welche davon ihre Ziele erreichen werden“, kommentierte 2019 das Fachmagazin „Nature Reviews Physics“ in einem Editorial. „Aber klar ist: Um eine neue Physik jenseits des Standardmodells zu entdecken, müssen wir alles in den Ring werfen, was wir haben: große Hochenergie-Teilchenbeschleuniger, kleine Experimente bei geringeren Energien und astrophysikalische Beobachtungen.“

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter
Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Das Higgs-Boson – und dann?
Standardmodell, Teilchenjagd und eine neue Physik

Wozu das Higgs?
Das Rätsel der Masse

Auf Teilchenjagd
Wie das Higgs-Boson entdeckt wurde

Das Higgs und die anderen
Den Wechselwirkungen des Higgs-Bosons auf der Spur

Die Geheimnisse des Higgs
Von Symmetriebrüchen, Sombreros und Selbst-Interaktionen

Wie es weitergeht
Was kommt nach Higgs und LHC?

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema

Dunkle Energie - Auf der Suche nach der geheimnisvollen Triebkraft des Universums