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Raumfahrt

Wer darf fliegen?

Die Auswahl der Kosmonauten

3. September 1959, ein Luftwaffenstützpunkt westlich von Moskau. Im Gang vor einem Besprechungsraum wartet eine Gruppe junger Piloten, die meisten von ihnen wirken leicht nervös. Immer wieder einmal öffnet sich die Tür und einer von ihnen wird hineingerufen. Sie wissen, es muss um etwas Wichtiges gehen, um einen besonderen Auftrag. Die Grundvoraussetzungen erfüllen sie alle: Sie sind männlich, gesund, nicht größer als 1,75, nicht schwerer als 72 Kilogramm und nicht älter als 30 Jahre. Das Einzelgespräch mit den gestern angereisten Experten aus Moskau wird nun entscheiden, ob sie in die engere Wahl kommen – wofür auch immer.

Juri Gagarin (links) und Boris Wolynow - beide bestehen die Eingangstests © Aliev Alexandr Ibragimowitsch / gemeinfrei

Ziel und Aufgabe: unbekannt

„Die Gespräche hatten absolut nichts mit dem Weltraum zu tun“, erinnert sich der Luftfahrt-Mediziner Nikolai Gurovski, einer der Prüfer im Auswahlprozess. „Einige Offiziere hatten keine Ahnung, worauf wir hinaus wollten und warum wir gekommen waren. Andere dagegen kapierten es sofort und fragten um Erlaubnis, sich mit ihren Familien beraten zu dürfen. Wir mussten das leider absolut verbieten: Es war ein neues, Top-geheimes Projekt und die Kandidaten mussten die Entscheidung für sich fällen, ohne Hilfe von außen.“

Nach den Auswahlgesprächen in Stützpunkten der gesamten westlichen Sowjetunion bleiben von den ursprünglich 3.000 Kandidaten noch 200 übrig. Sie werden in das Forschungszentrum für Luftfahrtmedizin nach Moskau zu einer Serie von physischen und psychischen Belastungstests eingeladen. Unter ihnen ist auch der 25-jährige Fliegerleutnant Juri Alexejewitsch Gagarin. Geboren in einem kleinen Ort rund 150 Kilometer westlich von Moskau, wechselte er nach einer technischen Ausbildung in die Pilotenlaufbahn. Seit zwei Jahren dient er jetzt als Jagdflieger in Murmansk am Polarkreis.

Juri Gagarin wird Kosmonaut

Im Februar 1960 verkündet das Auswahlgremium offiziell die Testergebnisse und die Namen der 20 zukünftigen Kosmonauten der Sowjetunion. Auch Gagarin ist dabei. Er hat die Prüfer besonders durch seinen Ehrgeiz, seine Intelligenz und seine Ernsthaftigkeit beeindruckt.

In seiner Beurteilung heißt es: „Bescheiden, zeigt einen hohen Grad der intellektuellen Entwicklung, fantastisches Gedächtnis. Setzt sich von seinen Kollegen durch seine scharfe und weitreichende Aufmerksamkeit für seine Umgebung ab. […] Bereitet sich sorgfältig auf seine Aktivitäten und Trainings vor, bewältigt Himmelsmechanik, mathematische Formeln und höhere Mathematik mit Leichtigkeit.[…] Er wirkt, als würde er das Leben bereits besser verstehen als viele seiner Freunde.“

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Die "Mercury Seven" der NASA. Hintere Reihe von links nach rechts: Alan Shepard, Walter Schirra, John Glenn. Vorderre Reihe: Virgil Grissom, Malcolm Carpenter, Donald Slayton, Leroy Cooper. © NASA

Flieger-Asse versus „Ausführer“

Bereits gut ein halbes Jahr zuvor hat auch die NASA ihre ersten Astronauten präsentiert, die „Mercury Seven“. Alan Shepard, John Glenn und Co. sind im Gegensatz zu ihren russischen Kollegen im Schnitt einige Jahre älter und mit jeweils mindestens 1.500 Flugstunden deutlich erfahrenere Piloten. Gagarin und viele seiner Kollegen kommen gerade mal auf knapp über 200, keiner von ihnen ist fertig ausgebildeter Testpilot.

„Wie schon mehrfach in unseren automatisierten Flügen und denen mit Tieren an Bord gezeigt, erfordert unsere Technologie keine hochbegabten Ingenieure“, erklärt Koroljow das sowjetische Prinzip der automatisierten Flugsteuerung. „Die amerikanischen Astronauten müssen ihre Raketensysteme in jedem Stadium des Fluges kontrollieren helfen.“ Der Kosmonaut ist dagegen, außer bei unplanmäßigen Ereignissen, im Prinzip nur beobachtender Passagier. Ein Zugeständnis gibt es allerdings: Der Pilot kann die im Flug normalerweise verriegelte manuelle Steuerung durch Eingabe einer dreistelligen Kodenummer freischalten. Den Code erhält er als versiegelten Umschlag unmittelbar vor dem Start, darf ihn aber nur auf ausdrückliche Anweisung der Bodenstation öffnen.

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Nadja Podbregar
Stand: 08.04.2011

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Roter Orbit
Juri Gagarin wird der erste Mensch im Weltraum

Der erste Mensch im Orbit
Ein Tag im April verändert die Welt

Kampf um die „Wunderwaffe“
Wernher von Brauns A-4 als Ursprung zweier konkurrierender Raketenindustrien

„Nur im Reich der Fantasie“
Tichonrawow und die ersten Pläne für bemannte Raumkapseln

Der Sputnik-Schock
Der erste Satellit und die ersten Vorbereitungen auf einen bemannten Flug

Wer darf fliegen?
Die Auswahl der Kosmonauten

Die Vorhut
Die ersten Tests und das Nedelin-Desaster

Endspurt ins All
Kopf an Kopf für Mercury und Wostok

Countdown
Die letzten Stunden vor dem Start

Der erste Flug
Einmal um die Welt in eineinhalb Stunden

Triumpf und Niederlage
Gagarins Landung und wie es weiterging

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