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Ökologie

Weibchen im Visier

Wenn Pflanzen Brutstellen vortäuschen

Sexuelle Mimikry von Pflanzen ist fast immer auf paarungswillige Insektenmännchen ausgerichtet, die sich nur allzu leicht überlisten lassen. Von Pflanzen vorgetäuschte Brutstellen hingegen führen Insektenweibchen in die Irre, die nach einer geeigneten Nahrungsquelle für ihren Nachwuchs suchen. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Arten der Gattung Arum aus der Familie der Aronstabgewächse analysiert, weil man vermutete, dass hier Brutstellen-vortäuschende Pflanzen zu finden sein sollten. Von diesen Pflanzen ist bekannt, dass sie – zumindest für die menschliche Nase – sehr eigenartige Blütendüfte produzieren und außerdem ein breites Spektrum an Bestäubern anlocken.

Unterer Teil des Blütenkelchs von Helicodiceros muscivorus © gemeinfrei

Aronsststab riecht wie verrottetes Fleisch

Die ersten Untersuchungen zur Brutstellen-Mimikry konzentrierten sich auf Pflanzen der Art Helicodiceros muscivorus, im Volksmund auch „Totes Pferd“ (dead horse arum) genannt. Diese auffällige und vor allem übelriechende Pflanze kommt auf kleinen Inseln im Mittelmeerraum vor. Sie ist fast immer in der Nähe größerer Möwenkolonien zu finden und blüht kurz bevor die Möwenjungen schlüpfen. In diesem Zeitraum trifft man interessanterweise auch auf große Populationen sogenannter Fleischfliegen, und tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass die Blüten den Geruch von verrottendem Fleisch imitieren und damit Fleischfliegen als unfreiwillige Bestäuber anlocken.

Wärme verstärkt Lockwirkung der Duftmischung

Elektrophysiologische Experimente zeigten, dass die Antennen der Fliege, also ihre „Nase“, auf den Geruch der Pflanze und den Geruch von fauligem Fleisch identisch reagierten. Bei den aktiven Komponenten der in der Blüte produzierten Duftmischung handelte es sich um drei verschiedene Oligosulfide. Zusätzlich heizt sich die Blüte auf und übersteigt die Umgebungstemperatur um etwa 15 Grad Celsius. Sie ahmt damit die Hitze nach, die in einem faulenden Tierkadaver entsteht. Die Blüte öffnet sich zwei Tage lang, produziert ihren fauligen Geruch und zusätzliche Wärme aber nur am ersten Tag.

Zeichnung des Blütenkelchs des Aronstabgewächses Dead Horse Arum, der als Fliegenfalle fungiert. Die Fliegen werden durch die Kombination von olfaktorischen, visuellen und thermischen Stimuli angelockt, was die Pflanze für weibliche Fleischfliegen, die nach Eiablage ihrem Nachwuchs eine optimale Nahrungsquelle bieten wollen, unwiderstehlich macht. Sie werden in der Kammer gefangen, wo sie die weiblichen Blüten (ganz unten im Kelch) bestäuben. Am zweiten Tag welken die Stacheln oberhalb der weiblichen Blüten und die Fliegen werden wieder freigelassen, damit sie den Pollen der männlichen Blüten übertragen können. © Max-Planck-Institut für chemische Ökologie/Hansson

Diese Tatsache ermöglichte es den Wissenschaftlern, die Attraktivität der Blütensignale genau zu testen. Dazu wurde die Blüte am zweiten Tag – wenn sie normalerweise nicht mehr riecht – zuerst mit einem synthetischen Duft versehen. Es zeigte sich, dass die Fliegen im gleichen Ausmaß wie am ersten Tag angelockt wurden, allerdings krabbelten sie nicht bis in den Kelch der Blüte hinein, wo die Fliegen üblicherweise für einige Zeit gefangen gehalten werden, um die Pollenübertragung sicherzustellen.

Täuschung mit allen Sinnen

Die Täuschung funktionierte jedoch vollständig, wenn dem Kelch künstlich genügend Wärme hinzugefügt wurde: Die Fliegen gingen in die Falle. Dieses Aronstabgewächs bedient sich also einer multisensorischen Täuschung, um Fleischfliegen erfolgreich anzulocken. Neben der Geruchs- und Wärme-Imitation verwendet die Pflanze zusätzliche mechanosensorische und visuelle Signale, um ihre Attraktivität bei den Fliegen noch weiter zu steigern.

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Die Bestäubungsstrategie von Helicodiceros muscivorus hängt von der perfekten Nachahmung einer unwiderstehlichen Ressource ab, damit Fliegenweibchen das vermeintlich optimale Eiablagesubstrat nicht ignorieren können. Gleichzeitig drängt die Pflanze die Fliegen aus der Perspektive der Evolution kaum dazu, Maßnahmen gegen die Täuschung zu entwickeln, weil sie für ihre betrügerischen Aktionen nur kurze Zeitfenster von wenigen Wochen und sehr begrenzte Lebensräume (kleine Mittelmeerinseln) nutzt.

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Bill Hansson / MPI für chemische Ökologie
Stand: 19.08.2011

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Täuschende Schönheiten
Wie Pflanzen ihre Bestäuber-Insekten hereinlegen

Täuschen und Tricksen im Pflanzenreich
Wie Blüten gegen die Spielregeln der Bestäubung verstoßen

Von Bienen und Orchideen
Sexuelle Täuschung bei der Bestäubung

Weibchen im Visier
Wenn Pflanzen Brutstellen vortäuschen

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