Anzeige
Phänomene

Von Gentechnik bis Pixar

Aphantasie, Wissenschaft und Kreativität

Der Gentechnik-Pionier Craig Venter hat sie, Blake Ross, Mitentwickler des Internetbrowsers Mozilla Firefox, aber auch Ed Catmull, ehemaliger Leiter des Pixar-Animationsstudios. Sie und viele andere erfolgreiche Menschen mit Aphantasie beweisen, dass dieses Phänomen keine Behinderung, Krankheit oder ein Grund zum Scheitern ist. Eher im Gegenteil.

Craig Venter
Gentech-Pionier J. Craig Venter (links) und sein Kollege Hamilton O. Smith © J. Craig Venter Institute

Hang zur Wissenschaft

Schon Francis Galton stellte 1880 mit Erstaunen fest, dass auffallend viele seiner naturwissenschaftlichen Kollegen über keine oder nur geringe visuelle Vorstellungskraft verfügten. „Als ich diese Männer der Wissenschaft nach ihrer mentalen Bildern befragte, protestierte die große Mehrheit und erklärte, dass sie solche Bilder nicht kannten – sie sahen dies als geradezu abstrus an“, berichtet Galton. „Sie hatte genauso wenig eine Vorstellung von der waren Natur solcher mentalen Bilder wie ein blinder Mann von der Farbe.“

Ein neuzeitliches Beispiel für hochrangige Wissenschaftler mit Aphantasie ist Craig Center, der US-Genforscher, der im Jahr 2000 parallel zum Humangenomprojekt die erste Fassung des menschlichen Genoms sequenziert hatte. 2010 gelang es ihm und seinem Team, erstmals eine lebende Zelle mit künstlichem Genom zu erzeugen. Venter sieht seine Aphantasie klar als Vorteil: „Ich habe festgestellt, dass die Aphantasie mir hilft, komplexe Information zu neuen Ideen und Ansätzen zusammenzufügen“, sagt der Genforscher. Das Fehlen der Bilder helfe ihm, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Tatschlich hat der Neurowissenschaftler Adam Zeman von der University of Exeter vor einigen Jahren festgestellt, dass Menschen mit Aphantasie überproportional häufig in naturwissenschaftlichen und mathematischen Berufen arbeiten. „Unsere Forschung zeigt, dass die Aphantasie Menschen in solchen eher technischen Bereichen Vorteile bringt“, erklärt Zeman. Menschen mit einer besonders aktiven visuellen Vorstellungskraft seien dagegen häufiger in kreativen Berufen zu finden.

Wenn die Aphantasie kreativ macht

Doch es gibt auch spannende Ausnahmen, wie Zeman herausfand: „Stellen Sie sich unsere Überraschung fest, als sich immer mehr Künstler mit Aphantasie bei uns meldeten. Bisher sind es schon rund 150, dazu kommen noch einige Schriftsteller, Schauspieler und Architekten“, berichtet der Neurowissenschaftler im Magazin „Psyche“. „Warum sollte man eine Welt abbilden, die man selbst nicht visualisieren kann? Und wie können Künstler Kunst erschaffen ohne innere Bilder, die ihre Kreativität leiten?“

Anzeige
Pivxar
Erstaunlich viele Mitarbeiter der Animationsfirma Pixar haben Aphantasia. © Coolcaesar / CC-by-sa 3.0

Wie erfolgreich Menschen mit Aphantasie gerade beim Erschaffen fiktiver Welten sein können, beweist die Firma Pixar. Einige der führend Köpfe in dem für Animationsfilme wie „Toy Story“, „Findet Nemo“ oder „Soul“ bekannten Unternehmen haben Aphantasie. Darunter ist neben dem früheren Präsidenten von Pixar, Ed Catmull, auch Glen Keane, der Oscar-prämierte Schöpfer von „Arielle -die kleine Meerjungfrau“ oder „Die Schöne und das Biest“. Obwohl er keine inneren Bilder sieht, schafft es Keane, außerordentliche Figuren und Welten zum Leben zu erwecken.

„Es bedeutet, dass er tief in sich hineinhorchen muss und auf seine Emotionen hören – und das ist es, was ihn zum Zeichnen bringt“, erklärt Catmull die Arbeit seines Kollegen. Ähnlich sieht es auch Zeman: „Der Ausgangspunkt für Künstler mit Aphantasie ist nicht ein visuelles Bild, sondern ein bestimmtes Gefühl, eine emotionale Energie, ein Gedanke oder ein Sinn für räumliche Anordnung“, erklärt der Hirnforscher. „Aphantasie ist kein Hindernis für ein kreatives Leben.“

Teil der neurologischen Diversität

Viele Betroffene und auch Neurowissenschaftler sehen die Aphantasie daher nicht als Defizit oder krankhafte Störung, sondern als eine weitere Variante der neurologischen Vielfalt der Gattung Mensch. „Aphantasie ist Teil der neurologische Diversität. Es ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie verschieden unser Gehirn und unser Geist sein kann“, sagt Joel Pearson von der University of New South Wales.

  1. zurück
  2. |
  3. 1
  4. |
  5. 2
  6. |
  7. 3
  8. |
  9. 4
  10. |
  11. 5
  12. |
  13. 6
  14. |
  15. weiter
Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Phänomen Aphantasie
Wenn die Leinwand unseres Geistes dunkel bleibt

Dunkelheit statt innere Bilder
Was ist Aphantasie?

Mit Patient "MX" fing es an
Die Entdeckung der Aphantasie

Schwammige Erinnerungen
Wie die Aphantasie das Gedächtnis beeinflusst

Blick ins Gehirn
Was sind die Ursachen der inneren Blindheit?

Von Gentechnik bis Pixar
Aphantasie, Wissenschaft und Kreativität

Diaschauen zum Thema

News zum Thema

keine News verknüpft

Dossiers zum Thema

Synästhesie - Das Geheimnis der „Farbenhörer“ und „Wörterschmecker“

Blindsehen - Einem rätselhaften Wahrnehmungs-Phänomen auf der Spur

Erinnerung - Das Geheimnis von Speichern und Vergessen