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Anthropogeographie

Virtueller Blick ins Innere

Wie liest man unentrollte Schriftrollen?

Stunden-, bisweilen tagelang grübelt Kilian Fleischer über diesen winzigen verkohlten Textfragmenten – und das seit mehr als zwei Jahren. Warum tut er sich das an?

Kilian Fleischer
Kilian Fleischer in der Bibliothek des Instituts für klassische Philologie. © Gunnar Bartsch / Universität Würzburg

„Ich finde, die Wiederentdeckung von Literatur, die gut 2.000 Jahre lang als verschollen galt, ist eines der spannendsten Felder in der Klassischen Philologie“, sagt er. Seine Arbeit liefere im Erfolgsfall die Grundlage für weitergehende Forschung und präsentiere Lösungen für Probleme, die zum Teil Jahrhunderte lang diskutiert wurden.

Angst, dass ihm der „Lesestoff“ in nächster Zeit ausgehen könnte, muss Kilian Fleischer nicht haben. Von den gut 1.000 Papyrusrollen, die man aus der Villa dei Papiri in Herculaneum geborgen hat, sind mehr als 300 noch nicht entrollt. Ihnen bleibt der zerstörerische Akt des Entrollens vielleicht sogar erspart. Stattdessen könnten die Rollen Schicht für Schicht durchleuchtet und ausgelesen – quasi virtuell „entblättert“ werden.

Entziffern ohne Entrollen

Bislang steckt diese Technik – das virtual unrolling – zwar noch in den Anfängen, aber in einigen Beispielen hat sie bereits bewiesen, dass sie funktioniert. So gelang es im Jahr 2015 einem Forscherteam, zwei der Papyrusrollen aus Herculaum mittels Röntgen-Phasenkontrast-Tomografie (XPCT) im aufgerollten Zustand zu entziffern. Diese Technik bestrahlt die Probe mit kohärenten – im Gleichtakt schwingende – Röntgenstrahlen.

Zu stark verkohlt um entrollt zu werden: ein Papyrus aus Herculaneum © D. Delattre, Bibliothèque de l’Institut de France

Weil die rußhaltige Tinte beim Schreiben nicht in den Papyrus eingedrungen ist, sondern als leicht erhabene Schicht eintrocknete, reflektieren und brechen die Buchstaben das Röntgenlicht etwas anders als der Papyrus. Dieser Unterschied erzeugt in den wiederaufgefangenen Strahlen eine Phasenverschiebung, die mithilfe spezieller Computerprogramme ausgewertet und als Kontrast dargestellt werden kann.

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Eine etwas andere Technik haben Archäologen bei einer verkohlten Schriftrolle aus dem israelischen En Gedi eingesetzt. Im ersten Schritt wurde die Schriftrolle vorsichtig mittels Micro-Computertomografie (CT) durchleuchtet. Dieser Scan bildet die dreidimensionale Struktur der Rolle ab und kann die Tinte in beschriebenen Passagen sichtbar machen. Die Rohdaten dieser Scans werden dann mit einer Spezial-Software analysiert, die Schriftrolle nun virtuell entrollt und die beschriebenen Innenseiten zu einem flachen Pergament zusammenfügt.

Hoffnung auf weitere Funde in Herculaneum

Und, wer weiß: Vielleicht entschließt sich Italien ja doch noch zu weiteren Ausgrabungen in Herculaneum. Wissenschaftler vermuten, dass in anderen Räumen der Villa dei Papiri weitere literarische Schätze verborgen sind. Im Würzburger Institut für Klassische Philologie würde man dies sicherlich begrüßen – neben griechischen ist nämlich auch mit verlorenen lateinischen Texten zu rechnen.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Die Bibliothek des Philodemus
Wie Forscher verkohlte Schriftrollen aus Herculaneum wieder lesbar machen

Philodems Erbe
Ein Schatz begraben unter Asche und Gestein

Angekohlte Reste
Was von Philodems Papyrusrollen übrigblieb

Papyri im Hyperspektrallicht
Eine spezielle Technik erhöht die Lesbarkeit

Virtueller Blick ins Innere
Wie liest man unentrollte Schriftrollen?

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