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Botanik

Verführerische Fallen

Extra-Mahlzeit für die Kannenpflanzen

Kannenpflanze © IMSI Masterclips

Im IV. Gesang von Homers Odyssee lässt Helena den Gästen, die in tiefe Schwermut verfallen sind, einen Becher mit einem Trank namens nepenhs oder nepenthes reichen. Dieser Trank helfe „gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis“. Und wirklich: bald sind die Gäste wieder fröhlich und haben ihre Sorgen vergessen. Karl von Linné nannte eine besondere Pflanzengattung nach diesem Trank. Und tatsächlich lassen die Nepenthes-Pflanzen Insekten auf gewisse Weise ihr Leiden vergessen.

Die Gattung Nepenthes, auch Kannenpflanze, wächst zum Beispiel im Bergregenwald des Mt. Kinabalu auf Borneo, der auch der „Berg der fleischfressenden Pflanzen“ genannt wird. Und das aus gutem Grund. Schon so manches Insekt hat sich hier von den leuchtend bunten Kannen täuschen lassen, die von Zweigen hängen oder am Boden liegen und einen verführerischen süßen Duft verströmen.

Die so angelockten Fliegen, Ameisen, Raupen oder Käfer laben sich nichtsahnend an dem Nektar, der in zahlreichen Drüsen des Kannenwulstes gebildet wird. Sobald ein Tier sich aber der Öffnung zu weit nähert, stürzt es in die Falle hinein. Im Innern der Kanne sind die Wände mit einer dünnen Wachsschicht überzogen und so spiegelglatt, dass ein Hinaufklettern unmöglich ist. Zudem ist das untere Drittel der Falle mit einer stark benetzenden Flüssigkeit gefüllt, in der die Tiere schnell versinken.

Verdauungsproteine im Blütenkelch

Diese stellt ein interessantes Gemisch dar: Endopeptidasen, also eiweißspaltende Enzyme, werden von bis zu 6.000 Drüsen pro Quadratzentimeter auf der Innenseite der Kanne abgesondert. Diese spalten Proteine zu Peptiden, die gefangenen Insekten werden bei lebendigem Leibe verdaut. Die entstehenden Peptide können allerdings nicht direkt von der Pflanze aufgenommen werden, daher ist sie auf Bakterien angewiesen, die auf dem Grund der Kanne leben. Auch sie produzieren Enzyme, die Aminopeptidasen, die nun Peptide zu Aminosäuren abbauen. In dieser Form können die Drüsenzellen der Kannenpflanze die Nährstoffe aufnehmen. Selbst der harte Chitinpanzer der Insekten wird verwertet.

Zwar ernähren sich die Kannenpflanzen auch ganz pflanzentypisch über ihre Wurzeln in der Erde und Photosynthese. An unfruchtbaren Standorten, zu denen die tropischen Regenwälder gehören, müssen sie allerdings ihren Speiseplan aufstocken, um zu überleben. Die eine oder andere Insekten-Mahlzeit sorgt für essentielle Stickstoffverbindungen und Mineralstoffe, die im nährstoffarmen Boden Mangelware sind.

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Die Insektenjagd funktioniert jedoch nicht immer: Einige Spinnenarten haben es geschafft, diesen wirksamen Fangapparat nicht nur zu überleben sondern sogar für sich zu nutzen. Im oberen Teil der Kanne spinnen sie ihr Netz und schnappen der Pflanze so die herabfallenden Insekten weg, bevor diese in die Verdauungsflüssigkeit fallen.

Dies ist nicht die einzige Zweckentfremdung der Fallen: In manchen Gebieten Borneos wird der Inhalt noch ungeöffneter Kannen nach dem Essen als verdauungsförderndes Mittel, also als eine Art Magenbitter, getrunken.

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Stand: 06.06.2002

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Mordende Pflanzen
Brutale Strategien im Reich des Chlorophylls

Von wegen wehrlos
Die fiesen Tricks der Pflanzen

Verführerische Fallen
Extra-Mahlzeit für die Kannenpflanzen

...und die Falle schnappt zu
Die schnellste Bewegung im Pflanzenreich

Tödliche Umklammerung
Die Würgfeige trägt ihren Namen zurecht

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