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Zoologie

Tiefer, schneller, weiter

Eine Hai-Lady bricht alle Rekorde

Weiße Haie leben in küstennahen und tropischen Gewässern nahe der Oberfläche. Saisonal schwimmen sie nur kurze Strecken entlang der Küste, wahrscheinlich um sich Fortzupflanzen. FALSCH: Denn spätestens seit „Nicole“ alle bisherig bekannten Distanz-, Tiefen- und Kälterekorde ihrer Spezies durchbrochen hat, ist das geringe Wissen über Weiße Haie deutlich geworden.

Die Hai-Lady ist für den White Shark Trust in Südafrika schon eine alte Bekannte. Seit 1999 begegnen die Wissenschaftler ihr immer wieder zwischen Juni und Dezember vor der Dyer Insel in der Nähe von Kapstadt. Michael Scholler hat mit seiner Organisation seitdem eine umfangreiche Foto-Datenbank aufgebaut, in der er jedes neue Bild einer Haiflosse mit seinen bisherigen Einträgen vergleicht. Durch kleine Details wie Schrammen, Einkerbungen oder Narben hat er unter anderem auch die fotogene Nicole einwandfrei wieder identifiziert. Nur wo die Tiere die Zeit zwischen den Sichtungen verbracht haben, blieb bis zum Sommer 2002 immer ungewiss.

In einer gemeinsamen Groß-Anstrengung startet der White Shark Trust mit der Wildlife Conservation Society, den Universitäten von Kapstadt und Pretoria, und dem Südafrikanischen Museum ein riesiges Projekt zur Beobachtung von Weißen Haien. Die Wissenschaftler schwärmen mit ihren Booten aus und locken die Haie mit Ködern an. Sobald die Tiere in die Nähe des Bootes kommen, halten sie sie mit Planen fest und befestigen an über 50 Tieren Mini-Computer, die vor allem Informationen zu den Schwimmwegen aufzeichnen sollen. Am 7. November 2003 sticht Michael Scholler auch Nicole einen Haken durch das Fettgewebe hinter der Rückenflosse. Für die nächsten sechs Monate wird der Sender Wassertemperatur, Meerestiefe und Helligkeit messen und aufzeichnen.

Da Haie eher selten die Wasseroberfläche durchstoßen, ist weder eine permanente Positionsbestimmung noch ein Abruf der Daten per Satellit möglich. Doch nach einer festgelegten Zeit sorgt ein „Schleudersitz“ für das Auftauchen des Senders. Durch einen elektronischen Impuls löst sich die Kapsel von dem Haken, treibt an die Oberfläche und sendet anschließend seine Daten über die sechs Argos-Satelliten der amerikanischen National Oceanic und Atmospheric Administration (NOAA) an eine Umweltdatenbank in Frankreich.

Als am 28.Februar 2004 der Sender von Nicole zum ersten Mal seine Positionsdaten übermittelt, kann Michael Scholler es kaum glauben: Das Hai-Mädchen war in 99 Tagen schnurstracks 11.000 Kilometer durch den indischen Ozean nach Australien geschwommen. Die Daten sind eine wahre Sensation für die Hai-Wissenschaftler. Nicht nur die Theorie, dass Haie küstennahe Meeresbewohner wären, gerät damit ins Wanken: Anders als bisher vermutet blieb Nicole während der Reise nicht nur in der Nähe der Oberfläche, sondern schwamm knapp 20 Prozent der Zeit zwischen 500 und 750 Metern tief, wo ihr noch nicht einmal die eisige Temperatur von 3,4 Grad Celsius etwas ausmachte. Die Kälte hielt sie offenbar auch nicht davon ab, mit einem Tauchgang auf 980 Meter den neuen Tiefenrekord für Haie aufzustellen.

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Seitdem haben die Südafrikaner von ihrer Hai-Lady nichts mehr gehört. Sie rätseln, warum sie die lange Reise auf sich genommen hat, und ob sie, wie ihre Verwandten die saisonal ein paar hundert Kilometer an der Küste entlang nach Norden schwimmen, auch wieder zurückkehren wird. Bis sie ihnen am 21.August 2004 an den Dyers Inseln wieder vor die Kamera schwimmt. Der Fotovergleich zeigte deutlich: Nicole ist wieder in Südafrika. Innerhalb von neun Monaten hat sie anstatt wie die anderen Haie die Küste einmal auf und ab zu schwimmen, einen ganzen Ozean zwei Mal durchquert und die Hai-Wissenschaft auf den Kopf gestellt.

Doch Nicole ist kein Einzelfall: Bereits zwischen 1999 und 2000 hatte ein kalifornisches Forscherteam um Andre Boustany sechs Weiße Haie vor der amerikanischen Westküste mit den gleichen Sendern versehen, und ähnliche Resultate bekommen. Einer der Haie schwamm damals 3.800 Kilometer bis nach Hawaii, und erlebte Temperaturen bis zu 4,8 Grad in Tiefen von mehr als 650 Metern. Die anderen drei Beobachtungstiere jedoch blieben wie vermutlich die Mehrzahl des Bestands immer in der Nähe der amerikanischen Küste.

Auch für die Biologen der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO) aus Australien steht das Wanderverhalten Weißer Haie entlang von Küsten im Mittelpunkt ihrer Forschungen. Und dafür gibt es einen handfesten Grund: In den küstennahen Gewässern kommt es besonders oft zu Begegnungen von Haien mit Surfern und Schwimmern. Die Erforschung der Schwimmwege soll ein besseres Zusammenleben ermöglichen. Der Hai „Rolf“ etwa bewegte sich zwischen November und Februar 2004 nur knapp 600 Kilometer weit und verließ den Spencer Golf vor Adelaide gar nicht. „Bomber“ dagegen schwamm in derselben Zeit 2934 Kilometer weit bis nach Westaustralien. Vielleicht hat sich der Hai-Junge ja dort mit „Nicole“ getroffen? Die war gerade zur selben Zeit dort aus Südafrika angekommen.

Eine 20.000 Kilometer lange Reise nur zur Fortpflanzung? Für die Wissenschaftler aus Südafrika ist das die einzige Begründung die bisher Sinn machen würde. Nicht nur das die Messungen eindeutig eine Verbindung zwischen den Populationen Weißer Haie in Südafrika und Australiens nachweisen, sondern auch, dass Weiße Haie offenbar zur Aufzucht ihrer Jungen wieder „nach Hause“ zurückkehren. Daher vermutet Michael Scholler vom White Shark Trust, dass Nicole auf der Suche nach einem Fortpflanzungs-Partner aus einem anderen Hai-Bestand war, um den heimischen Gen-Pool aufzufrischen.

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Stand: 10.02.2006

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Inhalt des Dossiers

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