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Geologie/physische Geographie

Steppe zu Wüste und wieder zurück

Kollaps oder Wiederauferstehung?

Die ökologischen Folgen der radikalen Maßnahmen während der Neulandkampagne ließen nicht lange auf sich warten. Die aus den gemäßigten Zonen andere Bedingungen gewohnten Neubauern hatten mehrere Hektar große, völlig ungeschützte Felder angelegt. Die Steppenwinde sorgten nun dafür, das die Humusschicht der Felder ausgeblasen wurde. Wissenschaftler gehen von einem 20- bis 40-prozentigen, allein durch Winderosion verursachten Humus- und Nährstoffverlust in den ersten Jahren nach der Neulandkampagne aus.

Degradation der Steppenböden

Die zur Bewässerung notwendig gewordenen Kanäle von den Steppenseen zu den Anbaugebieten zogen ein weiteres Problem nach sich: Die Versalzung der Böden. Sie wird durch die stärkere Verdunstung der offenen Wasserflächen begünstigt, bei der dem Boden die Mineralsalze entzogen werden, die sich dann an der Oberfläche ablagern. Auch Erosion durch Wasser sorgte für die Degradation der Steppenböden. In den nördlichen Gebieten der Steppe mit höheren Niederschlägen wurde die Humusschicht durch Wasser weggespült, in tiefen Abflussrinnen verschwand der Mutterboden von den Feldern.

Gipsausfällung durch Versalzung © Edda Schlager

Mehr Bewohner der Steppenregionen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion brauchten auch mehr Nutzvieh. Vor allem Schafe, Ziegen und Rinder wurden in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in so großen Konzentrationen gehalten, dass das Weideland schnell an seine Grenzen kam. Die Grassteppen wurden kahlgefressen und niedergetrampelt und konnten sich nicht regenerieren. Auch das führte zu Erosion durch Wind und Wasser. Wo sich das ausgeblasene Material ansammelte, entstanden Dünen..

Alles in allem führte die intensive Bewirtschaftung der Steppengebiete zu Sowjetzeiten zu einer Degradation der Steppenvegetation, die Neulandgebiete drohten zur Wüste zu werden.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat die Situation für die bewirtschaftete Steppe in den ehemaligen Sowjetrepubliken bis heute noch enorm verschärft. Trotz der Landreform in den GUS-Staaten, die aus vielen staatlichen Landwirtschaftsbetrieben Privatunternehmen oder Genossenschaften machte, musste man einsehen, dass Ackerbau nur in den niederschlagsreicheren nördlichen Waldsteppen sinnvoll ist. Da die staatlichen Subventionen, die zu Sowjetzeiten zur Erhaltung der Sowchosen üblich waren, entfielen, war eine Aufrechterhaltung der Landwirtschaft in vielen ehemaligen Neulandgebieten unrealistisch.

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Erosionsgräben in der Steppe © Edda Schlager

Die Wirtschaftskrise in den 90er Jahren führte zu einer immensen Landflucht aus den ländlichen Steppengebieten. In Russland, Kasachstan und der Ukraine brachen die Viehbestände innerhalb der letzten 15 Jahr dramatisch ein. Doch weil auch die Bewässerung der Weiden eingestellt wurde, besteht momentan noch immer das Problem der Überweidung. Nahezu 70.000 Brunnen wurden beispielsweise in Kasachstan aufgegeben. Die wenigen bewirtschafteten Weiden sind für die langsam wieder steigenden Viehbestände nicht ausreichend.

Die Perspektive

Doch der Wirtschaftsumbruch hat auch seine guten Seiten. Til Dieterich, Biologe beim United Nations Development Programm, stellte in einer Studie fest, dass die Steppenvegetation auf ungenutzte Brachflächen zurückkehren kann. Wie lange dieser Prozess dauern wird, sei jedoch unsicher. „Meine Einschätzung ist, dass sich die Steppenvegetation nach ungefähr 20 Jahren langsam anfängt zu schließen und mindestens ein Lebenszyklus der Steppenpflanzen durchlaufen werden muss, bis wieder naturnahe Verhältnisse eingekehrt sind.“, so Dieterich.

Gleiches ist für den Umgang mit den Nutztieren zu hoffen. Die Steppe ist darauf angewiesen, beweidet zu werden. Bevor der Mensch in heutigem Ausmaß in diese Landschaft eingriff, kam es den ursprünglich in den eurasischen Steppen beheimateten Herdentieren zu, die Steppenvegetation zu „pflegen“ und die anfallende Biomasse zu vernichten. Die großen Pflanzenfresser wie die bereits ausgestorbenen Tarpane (Wildpferde), die vom Aussterben bedrohten Kulane (Wildesel), Saiga-Antilopen, Dzhejran-Gazellen oder Wildkamele grasten auf ihren Wanderungen zwischen den südlichen, wärmeren Winter- und den nördlichen Sommerweiden die ausgedehnten Steppengebiete systematisch ab. Ohne diese Tiere hätte sich die Steppe nicht zu ihrer heutigen Form entwickelt. Eine extensive Beweidung der Steppen durch Haustiere wie Schafe oder Kühe ist deshalb nicht nur sinnvoll, sondern notwendig.

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Stand: 10.06.2005

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Die eurasische Steppe
Verkannte Einöde zwischen Schwarzem Meer und Wüste Gobi

Steppe, Prärie und Pampa
Viele Worte – eine Landschaft

Tulpen, Steppenroller und ein Hauch von Beifuss
Das Land der tausend Gräser

Umbruch im Nirgendwo
Die Neulandkampagne der Sowjetzeit

Steppe zu Wüste und wieder zurück
Kollaps oder Wiederauferstehung?

Nomaden aus der Eiszeit
Saiga-Antilopen

Wo die Steppe zum Wasserparadies wird
Tengiz und Korgalzhiner Seen

Dschinghis Khans Erbe
Fast unberührt – die Mongolei

Exklave in Mitteleuropa
Die Puszta, ein Stück Steppe in Ungarn

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