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Evolution

„Splitter“ und „Lumper“

Vom Durcheinander zum Radikalschnitt

Zunächst war kein klares Bild der menschlichen Abstammung zu erkennen, sondern es gab nur zahlreiche fossile Puzzlesteine, wie es der Biologe und Paläontologe Günter Bäumer 1994 in seinem Artikel „Vom Puzzle zum Bild – Fossile Dokumente der Menschwerdung“ beschrieb. Diese Unübersichtlichkeit hatten die Wissenschaftler selbst erzeugt. Es herrschte Uneinigkeit darüber, wie ein neuer Fund einzuordnen sei, und wann man bei einem Fund von einer neuen Art sprechen sollte.

Fossile Zuordnung

Gebeine
Menschliche Fossilienfunde zuzuordnen ist eine Herausforderung. © Thilo Parg /CC-by-sa 4.0

Es bildeten sich zwei Lager unter den Fossilsuchern aus. Die „splitter“, zu Deutsch „Spalter“ ordneten jeden Fund einer neuen Art oder Gattung zu, sobald sie nur den kleinsten Unterschied entdeckten, während die Vertreter der „lumpers“ darauf bedacht waren, die Zahl der Kategorien zu beschränken. Sie gingen bei morphologischen Abweichungen eher von Variationen innerhalb einer Gattung oder Art aus.

Den Schädel einer Dogge und den eines Pekinesen würden die Vertreter der „splitter“ eher als Vertreter zweier Arten ansehen, während die „Zusammenfasser“ beide derselben Art Canis lupus domesticus zurechnen würden. Im Fall der Hundeschädel ließe sich dies überprüfen, wenn man Tiere als zur selben Art gehörend bezeichnet, die miteinander fortpflanzungsfähige Nachkommen zeugen können. Handelt es sich bei den beiden Schädeln aber um zwei Millionen Jahre alte Überreste menschlicher Vorfahren, gibt es einfach praktische Probleme dies zu überprüfen.

Chaos im Stammbaum

Die Arbeit der „splitter“ hatte zu einem heillosen Durcheinander und zahllosen Seitenlinien des Stammbaums der Menschheit geführt. Bis sich schließlich einige „ordnungsliebende“ darunter Elwyn Simons und David Pilbeam von der Yale University daran machten, das Dickicht zu lichten.

Nach ihrem Radikalschnitt gab es nur noch zwei Hominiden-Gattungen: Austhralopithecus und Homo. Der Stammbaum war übersichtlicher geworden. Gleichzeitig führte diese Zusammenfassung aber auch zu einer sehr vereinfachten Vorstellung unserer Evolution: sie suggerierte, dass in einer stringenten Linie ein Vorfahre auf den anderen folgte bis schließlich der heutige Mensch entstanden war.

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Das Bild hintereinander herlaufender Hominiden, die aufsteigende Reihe vom „Australopithecus irgendwas“ bis zum „Homo sapiens“ gibt diese Vorstellung sehr gut wieder, bestärkt uns aber heute noch in unserer falschen Vorstellung. Denn die Entwicklung vom ersten Hominiden bis zu uns, dem Homo sapiens am Ende des Holozäns, war ein wahrhaft steiniger Weg. Die meisten potentielle Vorfahren führte er in eine Sackgasse. Nur im Nachhinein betrachtet, sieht es so aus, als ob der Weg geradewegs zu uns geführt hätte.

Ein Weg voller Sackgassen

Versucht man sich einen Überblick über unsere Evolution zu verschaffen, über die zahlreichen Vorfahren, die vielen Haupt- und Seitenlinien, stößt der Laie auf zwei wesentliche Probleme: die unzähligen Artnamen unserer Vorfahren und die Uneinigkeit der Wissenschaftler in einigen Punkten über den tatsächlichen Verlauf der Evolution.

Jeder neue Fund bedeutet ein neues Puzzleteil in unserem stammesgeschichtlichen Bild. Deshalb soll sich diese Beschreibung unserer Evolution auch nicht in Einzelheiten verlieren, sondern nur die dicksten Äste des Stammbaums nachzeichnen.

Suche nach dem Verbindungsglied

Schimpanse
Molekularbiologische Untersuchungen belegen heute die Verwandtschaft zwischen Mensch und Schimpanse. © Thomas Lersch /CC-by-sa 3.0

Lange Zeit waren die Wissenschaftler davon ausgegangen, dass das „Missing link“ in einer Zeit vor ungefähr 15 Millionen Jahren zu suchen sein müsste. Ergebnisse molekularbiologischer Untersuchungen, mit denen auch die nahe Verwandtschaft des Menschen zu den Schimpansen belegt wurde, veranlassen die Forscher inzwischen dazu, die Gabelung, an der sich die Äste der afrikanische Großaffen und des Menschen trennen, auf acht bis fünf Millionen Jahre vorzuverlegen.

Aber die Suche nach dem Verbindungsglied geht weiter, denn aus dieser Zeit bis vor etwa fünf Millionen Jahren gibt es so gut wie keine fossilen Überreste, weil es nur wenige und nicht sehr ausgedehnte Sedimentationsbecken gibt. Das ändert sich ab etwa 4,5 Millionen Jahren vor heute. Ab diesem Zeitraum häufen sich die Fossilienreste und den Paläoanthropologen öffnet sich die Welt der Australopithecinen, der „südlichen Affen“. Diese beschränkt sich auf Afrika, was den Verdacht erhärtet, dass „das Menschliche“ in diesem südlichen Kontinent entstand.

 

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Evolution des Menschen
Vom Urahn bis zum Homo sapiens

Der Mensch stammt vom Affen ab!
"... lasst uns beten, dass es nicht allgemein bekannt wird!"

Der Mensch stammt nicht vom Affen ab!
Haeckel, Huxley und das "Missing link"

Ein Düsseldorfer mit flacher Stirn
Pathologischer Fall oder Vorfahre des Menschen?

"Splitter" und "Lumper"
Vom Durcheinander zum Radikalschnitt

Ausgangspunkt Affe
Von den Australopithecinen bis zu den frühen Hominiden

Die zwei großen Hypothesen
"OAA" oder "MRM"

Die DNA und der Neandertaler
Was uns Gensequenzen über unseren Ursprung erzählen

Die mtDNA unter der Lupe
Genetischer Vergleich mit dem Neandertaler

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