Tausende von Jahren nach der Kultur der Chinchorro erleben Mumien in Südamerika erneut eine Renaissance – allerdings diesmal nicht als gezielte Bestattungsform, sondern als Folge ritueller Opferungen der Inka. Diese Hochkultur herrschte zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert n.Chr. über einen Großteil der Andenregion. Ihr Einflussbereich reichte damals vom Gebiet des heutigen Ecuador bis nach Chile und Argentinien.
Fortgeschrittene Hochkultur
Im Gegensatz zu den eher bäuerlichen Kulturen ihres Umfelds errichteten die Inka Städte mit gewaltigen Bauten aus Granitblöcken. Ihre Baumeister nutzten dafür eine Art Hebebäume und bleierne Lote, wie Funde zeigen. Auch Rechenschieber besaßen sie. Die Inka bauten ein Straßennetz aus gepflasterten Wegen, die selbst über steile Pässe und über Hängebrücken über tiefe Schluchten führten. Sogar Tunnel schlugen sie für einige der Wege aus dem Fels. Ähnlich umfangreich war auch die Umgestaltung der kargen Gebirgslandschaft für den Pflanzenbau: Um Mais und vor allem Kartoffeln anbauen zu können, legten die Inka an unzähligen Hängen Terrassen an, die über ein raffiniertes Zuleitungssystem bewässert wurden.
Um diese Güter und auch Importe effektiv verteilen und verwalten zu können, besaßen die Inka, ähnlich wie die Hochkulturen der Alten Welt, ein effektives Verwaltungssystem mit Beamten und einer hierarchisch und arbeitsteilig gegliederten Bürokratie. Zur Kommunikation auch über weite Strecken hinweg dienten die Quipu – ein Code aus Knoten in miteinander verknüpften Schnüren.
…mit Schattenseite
Neben all diesen Errungenschaften hatte die Inka-Kultur auch eine grausame Seite: Menschenopfer und rituelle Tötungen waren keine Ausnahme, sondern üblich. Im Gegensatz zu den Azteken, Tolteken und Maya entwickelten die Inka diese Opferrituale zu einem ausgefeilten Programm weiter. Dieses lief an, immer wenn ein Inkaherrscher starb, ein Thronfolger geboren wurde, der Herrscher einen Sieg errang oder auch einfach, weil es der Kalender so vorgab.
Unterworfene Stämme mussten dann Tribut zahlen – einerseits in Form von Gold, Silber, Kleidung, Federn und Vieh, andererseits aber mit ihren Kindern: Die Herrscher verlangten die Herausgabe von möglichst wohlgebildeten Mädchen und Jungen zwischen vier und 16 Jahren. Denn Kinder galten als besonders reine und perfekte Wesen und daher als besonders würdige Opfergaben. Diese auserwählten Kinder wurden zunächst aufgepäppelt und dann in einem Pilgerzug in die Hauptstadt Cuzco oder an eine andere Opferstätte geführt. Spanische Missionare berichten, dass die Eltern dabei keine Trauer zeigen durften und es als Ehre ansehen mussten, wenn ihre Kinder auserwählt wurden.
Das Ende dieser Kinder aber war vorgezeichnet: Sie spielten die Hauptrolle in einem Opferritual, abgehalten meist in Schreinen auf dem Gipfel der heiliger Berge. Diese Capacocha-Zeremonien sollten die Götter besänftigen oder ihnen danken – je nach Anlass. Als Opfergabe aber dienten die Tributkinder. Ihr Tod sollte die Gunst der Götter sicherstellen. Was aber genau mit diesen kindlichen Opfern geschah und wie sie zu Tode kamen, blieb lange Zeit unklar.
Nadja Podbregar
Stand: 13.06.2014